Geboren am 13. 02.1867 in Ludwigsburg
Ermordet am 27.05.1942 im KZ Ghetto Theresienstadt
Interniert in Weißenstein im Februar 1942
Klara Beckers Eltern stammten beide aus jüdischen Familien, kamen aber aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands. Ihr Vater Hermann (Hirsch) Schottländer wurde am 16. August 1838 in Bleicherode / Thüringen geboren. In seiner Geburtsstadt heiratete er in erster Ehe Emma Goldschmidt, die September 1858 im nahen Sondershausen eine Tochter zur Welt brachte, die den Namen Julie erhielt. Emma Schottländer starb im Mai 1860 bei der Geburt eines weiteren Kinds.
Der Witwer Hermann Schottländer orientierte sein Leben neu: Er zog zunächst nach Ludwigsburg, wo er seit dem 1. Januar 1864 eine Blechwarenfabrikation betrieb. Im gleichen Jahr heiratete er in zweiter Ehe Pauline Fleischer, die am 12.11.1832 in Jebenhausen bei Göppingen geboren wurde. Deren Eltern, Fanny (Vögele) geb. Löbstein (1813-1864) und David Löb Fleischer (1791-1841), stammten aus den ersten jüdischen Familien, die sich seit 1777 in der Gemeinde angesiedelt hatten.
Die Zweige der Familie Fleischer gründeten mehrere erfolgreiche Unternehmen, Paulines jüngerer Bruder Moriz Fleischer (1839 – 1908) zum Beispiel eine innovative Papierfabrik in Eislingen.
Pauline und Hermann Schottländer bekamen insgesamt acht Kinder, von denen sechs ein traurig kurzes Leben hatten, sie starben spätestens im dritten Lebensjahr. Nur zwei Kinder des Paars hatten das Glück, erwachsen zu werden, nämlich die zweitgeborenen Tochter Klara, die am 13. Februar 1867 in Ludwigsburg zur Welt kam, sowie der am 12. März 1872 in Göppingen geborene Sohn Theodor.
Als die Familie im Jahr 1869 von Ludwigsburg in Paulines Heimatgemeinde Jebenhausen zog, waren Julie, die Tochter aus Hermann Schottländers erster Ehe, dabei, sowie die erwähnte Tochter Klara und der im Juli 1869 geborene Sohn Leopold, der aber schon im Jahr 1872 sterben sollte.
Die Familie Schottländer übersiedelte 1871 von Jebenhausen in die nahe gelegene Industriestadt Göppingen. Hier herrschte, speziell in der Textilbranche, ‚Gründerzeit‘ und auch Hermann Schottländer nahm einen neuen beruflichen Anlauf. Göppingens Rabbiner Dr. Aron Tänzer registriert in seinem Buch ‚Die Geschichte der Juden in Jebenhausen und Göppingen‘ unter der Rubrik ‚Trikot – Weberei‘:
„Gebr. Schottländer, Fabrikation genähter Korsetten und baumwollenener Waren, sowie Handel mit solchen. Die beiden aus Nordhausen stammenden Brüder Hermann und Julius Schottländer errichteten im Jahre 1871 diese Firma. Julius trat im ersten Jahre aus. Im Jahr 1898 wurde das Geschäft ausgelöst.“
Hermanns Bruder Julius Schottländer, der sich beim Bau der Göppinger Synagoge engagierte, blieb noch ein paar Jahre in Göppingen, dann zog er nach Bernburg und gründete dort eine Familie. Noch ein weiterer Bruder aus der Familie Schottländer lebte zeitweilig in Göppingen: Der 1847 geborenen Moritz Schottländer und seine Frau Bertha, geb. Herbst wohnten hier zumindest bis ins Jahr 1885, denn im Juni des Jahres wurde in Göppingen ihr erstes Kind, die Tochter Selma geboren; das nächste Kind, der Sohn Julius, kam 1887 schon in Mainz zur Welt, wohin die Familie gezogen war.
Abgesehen vom beruflichen Erfolg: In der Zeit vor dem Jahr 1898 sollte Hermann Schottländer noch eine ganz andere ‚Karriere‘ machen, denn er wurde von 1880 – 81 in den Göppinger Bürgerausschuss gewählt, in den Jahren 1888 bis 1894 war er Mitglied im Gemeinderat. Damit war er einer von insgesamt sieben jüdischen Göppinger Bürgern, die zwischen 1862 und 1919 diesen kommunalen Gremien angehörten. Ein Indiz, wie die ‚Emanzipation‘ bzw. die Akzeptanz der Juden damals erfolgreich zu sein schien. Auf Hermann Schottländers gute Verankerung im bürgerlichen Gemeindeleben deutet auch hin, dass er für zwei Jahre ‚Rechner‘ im Göppinger Gesangsverein ‚Liederkranz‘ war.
Die Familie bewohnte ein eigenes Haus in der Uhlandstr. 11 (heute: Theodor-Heuss-Straße), außerhalb des alten Stadtkerns, umflossen von zwei Armen des Stadtbachs. Eine gute Umgebung für Klaras Kindheit? Vielleicht ja, aber Klara musste beinahe jedes Jahr erleben, dass eines ihrer jüngeren Geschwister starb. Vermutlich eine traumatische Erfahrung für die ganze Familie.
Schon im Jahr 1878 hatte Klaras Halbschwester Julie in Ulm den von dort stammenden Kaufmann Gustav Gugenheim geheiratet, elf Jahre später, am 12. August 1889, schloss Klara Schottländer in Göppingen die Ehe mit Emanuel Becker, der in Billigheim geboren wurde. Ihr Ehemann war sechs Jahre älter als sie und von Beruf Kaufmann. Welche schulische Ausbildung Klara erfuhr, ist leider nicht dokumentiert. Man kann vermuten, dass sie wie andere Mädchen aus dem gehobenen Bürgertum die ‚Höhere Töchterschule‘ besuchen konnte. Zwei Jahre nach der Hochzeit, am 21. Februar 1891, kam in Göppingen Ilse Johanna Becker zur Welt, das erste und einzige Kind von Klara und Emanuel.
Ilses Großeltern Hermann und Pauline Schottländer wagten im fortgeschrittenen Alter als etwa 60-Jährige einen Neubeginn in den USA, wohin sie, begleitet vom Sohn Theodor, im Jahr 1896 /97 auswanderten. Klaras Eltern erreichten beide ein hohes Alter: Hermann Schottländer starb im August 1925, Klaras Mutter Pauline im September 1913, beide in Chicago.
Im gleichen Jahr, zum 1. Oktober 1913, zogen Klara, Emanuel und Ilse Becker nach Esslingen. Wie Joachim Hahn in seinem Buch ‚Jüdisches Leben in Esslingen‘ dokumentiert hat, wohnte die Familie bis 1917 in der Friedrichstr. 23, später bis zum 6. Mai 1937 in der Wilhelmstr. 9, wo Emanuel Becker eine ‚Tuchagentur‘ betrieb.
Zu dieser Zeit hatte Ilse aber schon längst einen eigenen Lebensweg gesucht: Im August 1919 heiratete sie in Esslingen Karl Bernhard Trick aus Pfalzgrafenweiler, einen Kaufmann, der aus einer evangelischen Familie stammte. Bestimmt hatten sich Klara und Emanuel Becker über ihren Enkel Rolf Trick gefreut, der am vierten Mai 1921 in Stuttgart geboren wurde. Aber auch das gemeinsame Kind konnte die Ehe von Ilse und Karl Bernhard Trick nicht stabilisieren, die Scheidung erfolgte im April 1924. Auch in dieser Generation ereilte die Familie das traurige Kinder-Schicksal, denn Rolf Trick starb, erst neun Jahre alt, am 6. Dezember 1930 in Esslingen.
Die verbliebene Familie verkaufte im August 1937 ihr Wohnhaus mit Hofraum in der Esslinger Wilhelmstr. 9 an Fritz Quist, verließ die Stadt und zog nach Stuttgart. In den Stuttgarter Adressbüchern ist Emanuel Becker in der Ausgabe von 1938 zum ersten Mal verzeichnet. Er und naheliegenderweise auch seine Frau Klara wohnten zur Miete in der Johannesstr. 26 und zwar im Erdgeschoss des großen Stadthauses, das über fünf bewohnte Etagen verfügte. Ebenfalls fand sich dort der Eintrag ‚Trick, Ilse, Frau‘. Somit wohnte auch die Tochter Ilse Johanna im Haus.
Eigentümer und Vermieter war der jüdische Arzt Dr. med. Josef Neu, der dort 1924 seine Praxis für Innere Medizin eröffnet hatte.
In seinem Haus wohnten schon vor der NS-Zeit jüdische und nichtjüdische MieterInnen Tür an Tür. Im Jahr 1939 musste Dr. Neu das Haus verkaufen, eine Voraussetzung für seine erzwungene Auswanderung im Januar 1940. Käufer war der Metzgermeister und Schankwirt Wilhelm Sautter, dem das benachbarte Haus Nr. 28 gehörte. Für die jüdischen MieterInnen hatte der Eigentums-Wechsel anscheinend keine schwerwiegenden Folgen; so konnte die Familie Becker wohnen bleiben, weitere jüdische MieterInnen zogen zu, ohne dass alle ‚arischen‘ Mieter das Haus verlassen hätten. Der ‚arische‘ Eigentümer Wilhelm Sautter zog 1943 sogar selbst mit ins Haus.
Auffällig ist, dass Ilse Trick im Adressbuch 1939 noch unter ihrem angeheirateten Nachnamen geführt wird, im Adressbuch 1940 aber mit ihrem Geburtsnamen Becker. Diese Änderung war eine Folge der NS-Gesetzgebung, die in den meisten Fällen den jüdischen Deutschen auch die Zwangsnamen ‚Sara‘ und ‚Isaak‘ vorschrieb und von ‚Ariern‘ Geschiedene zwang, ihren Geburtsnamen wieder anzunehmen.
1940 dürfte für Klara Becker ein grauenhaftes Jahr gewesen sein. Am 20. Mai starb ihr Mann Emanuel an einer ‚Herzlähmung‘ als Folge von Arteriosklerose. Dem Totenschein ist zu entnehmen, dass der Kranke immerhin ärztlich betreut worden war. Kann man den Tod ihres Mannes noch als ‚natürlichen‘ Tod verstehen, so galt das nicht für die Umstände, unter denen Ilse Johanna Beckers Leben endete.
Das Todesdatum, der 30. November 1941, war kein Zufall. Ilse Becker flüchtete in den Tod, wahrscheinlich, weil ihr am nächsten Tag die Deportation nach Riga drohte. Dem Totenschein ist zu entnehmen, dass Ilse eine Überdosis von Schlaftabletten geschluckt hatte, sie starb allerdings nicht in der Wohnung Johannesstr. 26, sondern wurde noch lebend im Bürgerhospital aufgenommen.
Nach diesen Katastrophen lebte Klara Becker noch etwa drei Monate in der verwaisten Wohnung. Am 6. Februar 1942 wurde sie zusammen mit vier weiteren Stuttgarterinnen ins Zwangswohnheim Schloss Weißenstein Kreis Göppingen überführt. Auch dort verblieb Klara Becker nur einige Monate. Am 22. August 1942 wurde sie von Stuttgart aus ins KZ Ghetto Theresienstadt verbracht. Dort erlag sie am 27. Mai 1943 76-jährig den mörderischen Lebensbedingungen.
Weitere Menschen aus Klaras nächster Verwandtschaft wurden von den Nazis ermordet:
Ihre jüngere Cousine Selma Schottländer, die ledig in Mainz wohnte, wurde am 25. März 1942 ins Ghetto Piaski deportiert und im Anschluss ermordet.
Gewaltsam zu Tode kamen auch Kinder von Klaras älterer Halbschwester Julie Gugenheim, geb. Schottländer: Die ledige Bertha Gugenheim, die in Esslingen lebte, wurde am 1.Dezember 1941 nach Riga /Lager Jungfernhof deportiert. Für sie liegt in Esslingen ein Stolperstein in der Schelztorstr. 17.
Berthas jüngerer Bruder Otto Gugenheim wurde von seinem Wohnort München zusammen mit seiner Frau Ilse und seiner Tochter Gertrud am 25. November 1941 nach Kaunas verbracht.
Aus Emanuel Beckers Familie wurden zwei seiner Cousins von den Nazis ermordet.
(15.03.2020 kmr)