Bachstr. 2 (früher Hauptstr. 45)

Die Stolpersteine liegen an der Hauptstraße (Nordseite), östlich der Kreuzung Bachstraße.

Leopold Lang wurde am 11. Februar 1895 in Ernsbach im Kreis Öhringen als drittes Kind des jüdischen Händlers Samuel Lang und seiner dritten Frau Regine, geborene Heilbronner geboren. Zusammen mit seinem Bruder Lazarus Lang, genannt Louis, zog er als Soldat für das deutsche Kaiserreich in den ersten Weltkrieg. Für seine Kriegsteilnahme vom 21.7.1915 bis November 1918 erhielt er das „Ehrenkreuz für Frontkämpfer“.

Louis und Leopold Lang als deutsche Soldaten (Foto: Familie Lang/Stadtarchiv Süßen)

Hochzeit und Viehhandel

Nach Kriegsende heiratete er am 15.Juni 1920 Eva Liffmann aus Rodalben / Pfalz, die am 11.11.1896 in Odenkirchen geboren wurde. Leopolds Halbbruder Jakob Lang hatte in Großsüßen einen gutgehenden Viehhandel aufgebaut. 1918 starb Jakob Lang unerwartet. Leopold übernahm mit seinem Bruder Louis die Viehhandlung in Großsüßen. In einer späteren Beschreibung wurde dies so dargestellt: „Der Viehhandel wurde in der Weise betrieben, dass die beiden Brüder Lang Viehmärkte besuchten, dort Vieh aufkauften, das sie zum Teil an ihre Abnehmer direkt verluden oder in ihre Stallungen einstellten und von dort aus an Bauern verkauften oder auf Viehmärkte brachten. Monatlich wurden so ca. 35 Stück Vieh gehandelt.“

1925 zog er mit seiner Frau Eva und seinen Söhnen Manfred und Hugo von Ernsbach nach Großsüßen in das Haus seiner Schwägerin Fanny Lang, Hauptstraße 45. Dort kam am 27.7.1925 noch die Tochter Ruth zur Welt. Fanny Lang verkaufte 1929 das Haus an Louis Lang und zog wieder zurück nach Rexingen. Louis Lang zog nun mit seinen vier Kindern aus der Heidenheimer Straße in die Hindenburgstraße 45 um.

Anwesen Lang in der Hindenburgstraße (später Hauptstraße),
Wohnhaus mit Scheuer, um 1930 (Foto: Stadtarchiv Süßen)

Die Familien Lang hatten einen gewissen Wohlstand; die Kinder waren gut integriert im Ort und zumindest die beiden Söhne gingen in die Großsüßener Volksschule. Ob auch die 1925 geborene Ruth noch die Möglichkeit hatte, vor Ort die Schule zu besuchen, ist unklar. Im Jahr 1927 ist sie nämlich als Schülerin der Göppinger Jüdischen Schule verzeichnet. Wie religiös-jüdisch waren die Langs? Hugo Lang berichtete: „Unsere Familie war reformiert. Freitagabends feierten wir die hergebrachten Gebräuche, wir zündeten Kerzen an, meine Mutter hielt milchig und fleischig auseinander. Wir gingen 2 – 3 Mal im Jahr in die Synagoge (Ergänzung: nach Göppingen). Wir waren 7 Kinder im Haus… wir hatten einmal im Monat Religionsunterricht. Der Lehrer kam zu uns.“

Leopold und Eva Lang mit ihren Kindern Ruth, Hugo und Manfred, ca.1926
(Foto: Familie Lang/Stadtarchiv Süßen)

Machtübernahme des NS-Regime

Mit der Machtübergabe an das NS-Regime erfolgten viele Einschränkungen im täglichen Leben für alle Juden. Ab 1938 folgte für Leopold Lang die einschneidendste: im Juli 1938 wurde ihm ein Berufsverbot erteilt. Der Viehhandel musste offiziell eingestellt werden. Er arbeitete nun zwangsweise als Hilfsarbeiter beim Sägewerk Friedrich Bader in Eislingen. Am 9.November 1938 in der Progromnacht wurden er und sein Bruder mit einem weiteren Juden aus Süßen verhaftet und für mehrere Wochen im KZ Dachau inhaftiert.

Am 15.Dezember 1938 verkaufte sein Bruder Louis das Wohnhaus Hindenburgstraße 45 an die Gemeinde Süßen. Noch vom selben Tag datierte der Mietvertrag, den Leopold Lang nun abschließen musste. Er mietete für seine Familie im Erdgeschoss „3 Zimmer, 1 Kammer, 1 Küche, 1 Korridor, 1 Badezimmer“. Die beiden Radios, die die Familien Lang besitzen, wurden beschlagnahmt.

Flucht

Der älteste Sohn Manfred schilderte in einem Brief von 1956 diese Zeit so: „Während meiner Lehrzeit als Werkschlosser zwischen März 1936 und März 1939 in der Papierfabrik Fleischer in Eislingen … war es meine Absicht, mich nach Vollendung der Lehre als Ingenieur auszubilden. Dieses war mir verleugnet, da ich als Jude in keiner… höheren Bildungsanstalt angenommen wurde. Deshalb bin ich am 25.4.1939 von Deutschland nach England ausgewandert … bei Ausbruch des Krieges wurde ich wegen deutscher Nationalität verhaftet und auf der Isle of Man interniert … am 8.10.1940 bin ich von England nach USA gefahren…“. 1941 bekam der zweite Sohn Hugo ein Visum für die USA und ihm gelang die Ausreise. Obwohl auch die Eltern und Ruth Ausreisevisa beantragt hatten, wurden diese nicht genehmigt.

Deportation

Am 28.11.1941 wurden Eva und Leopold Lang und ihre Tochter Ruth zusammen mit allen anderen jüdischen Familienmitgliedern, die noch in Süßen wohnten, ins Sammellager nach Stuttgart gebracht und von dort nach Riga (Lager Jungfernhof-Riga) deportiert. Im Bericht des stellvertretenden Bürgermeisters vom 5.12.1941 liest sich dies so: „Entjudung von Süßen. Die bei der Gemeinde im Gebäude Nr. 45 der Hindenburgstrasse wohnenden Juden sind durch eine Anordnung der Geheimen Staatspolizei Stuttgart am 18.November 1941 in das Reichskommissariat Ostland abgeschoben worden. Am 28.November 1941 haben sie Süßen mit Sack und Pack verlassen. Die zurückgelassenen Möbel sind dem Reich zugefallen und werden demnächst öffentlich verkauft.“

Nach Erzählung von Ruth Lang sind ihre Eltern Anfang des Jahres 1942 mit einem „Transport“ aus dem Lager Riga abgeholt worden und seither verschollen. 1951 wurden Leopold und Eva Lang vom Amtsgericht Geislingen für tot erklärt.
Ruth Lang überlebte jahrelange KZ-Inhaftierungen und kehrte im Juli 1945 nach Süßen zurück. Zusammen mit ihren Cousins Kurt und Siegfried verließ sie am 23.April 1946 Süßen wieder und wanderte nach Amerika aus.

Aufarbeitung der Schicksale

In den 1980er Jahren setzte sich der Süßener Bürgermeister Martin Bauch für die Aufarbeitung und Erinnerung an die Geschichte der ehemaligen jüdischen Mitbürger ein. In Süßen wurden werden zwei Straßen neu benannt: der „Familie-Lang-Weg“ und der „Ottenheimer Weg“. Auch der 1981 errichtete Marktbrunnen des Künstlers Emil Jo Homolka erinnert mit einer Szene an die Vertreibung der jüdischen Familien aus Süßen. Auf Einladung der Gemeinde besuchte 1989 die Familie von Hugo Lang Süßen.

Marktbrunnen Süßen

1991 beschloss der Gemeinderat, auf dem Friedhof Stiegelwiesen einen Gedenkstein erstellen zu lassen. Dieser Gedenkstein trägt unter einem siebenarmigen Leuchter die Namen der Ermordeten. Er wurde noch im selben Jahr im Beisein von Hugo und Inge Lang enthüllt.

Gedenkstein Friedhof Stiegelwiesen Süßen (Foto: Stadtarchiv Süßen)

Im Februar 2008 setzte Gunther Demnig die Stolpersteine für Eva und Leopold Lang vor dem früheren Haus Hauptstraße 45.

Heute:  Bachstraße 2  – Erweiterungsbau der Firma Nägele – ursprünglich Hauptstraße 45

(14.07.2021 ce)