Seestr. 6

Im Gedenken an
THERESIA und EDUARD LÖWENTHAL
„Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon“
(Max Mannheimer, Holocaust-Überlebender)
Vor 74 Jahren befreiten die Alliierten Deutschland vom Nationalsozialismus – und damit auch Hunderttausende Häftlinge in den Konzentrationslagern.
„Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ – das haben sich die befreiten Häftlinge der deutschen Konzentrationslager geschworen.
Die Zahl derer, die ihre Stimme erheben und von den Gräueln der Nationalsozialisten berichten können, wird immer geringer. Daher ist es umso wichtiger, dass sich die nachfolgenden Generationen für das Gedenken an das Schicksal der Opfer des Nationalsozialismus einsetzen.
Eduard Löwenthal fand im Januar 1941 als Häftling im Konzentrationslager Buchenwald den Tod. Jahrzehntelang wusste die Familie Löwenthal nur schemenhaft, was damals mit ihm geschehen war.
Dank der Stolpersteininitiative wurde die Geschichte unseres Urgroßvaters aufgearbeitet. Zur Erinnerung an Theresia und Eduard Löwenthal und all die Opfer des Nationalsozialismus entstand der Wunsch, einen Stolpersteine am ehemaligen Lebensmittelpunkt zu legen.

Bild 1: Eduard Löwenthal um 19.. (Foto privat)
Herkunft des Eduard Löwenthal
Eduard Löwenthal wurde als Sohn des David Löwenthal am 06.05.1899 in Pirmasens in der Pfalz geboren.1 Sein Vater David Löwenthal war Buchbinder und ist am 15.03.1847 in Danzig geboren.1 Seine Mutter war die Schuheinfasserin Magdalena Mayer, geschiedene Schneider. Sie ist am 30.06.1855 in Burgalben (heute Waldfischbach-Burgalben) geboren.1
Nach den uns bekannten Unterlagen hatte Eduard drei ältere Halbschwestern aus der 1. Ehe der Mutter und einen älteren Bruder Emil. Dieser wurde am 27.07.1895 geboren.1 Während sein älterer Bruder nach Aussagen der Familie nach Amerika auswanderte, blieb Eduard – entgegen der Aufforderung seines Bruders – in Deutschland.2
Die Ehe der Eltern wurde am 24.11. 1916 in Zweibrücken geschieden.3

Bild 2: Geburtsurkunde von Eduard Löwenthal
Die Familie Eduard Löwenthals
Über welche Stationen Eduard Löwenthal von Pirmasens nach Württemberg kam, lässt sich leider nicht recherchieren.
Seit ca. November 1928 muss er in Esslingen am Neckar gewohnt haben, dann von Mai bis November 1929 in der Gerbergasse 10 in Göppingen.4
Am 09.11.1929 heiratete er in Göppingen die katholische Fabrikarbeiterin Theresia Deibele aus Wäschenbeuren.4 Und wenige Tage später wurde am 27.11.1929 der erste Sohn, Walter Löwenthal, in Sparwiesen geboren.4
Die junge Familie lebte zunächst in diesem Ort, bevor sie um 1930 nach Wäschenbeuren verzog.5 Dort bekam die Familie weiteren Zuwachs: 1931 wurde die Tochter Pia geboren, 1934 der Sohn Raimund.6 Alle drei Kinder wurden katholisch getauft.6
Um 1933/34 zog die junge Familie für vier Monate nach Pirmasens. Der Familienvater arbeitete dort in seinem Beruf als Schuhmacher. Jedoch hatte Theresia so großes Heimweh, dass die Familie wieder nach Wäschenbeuren zurückkehrte.6
Die Familie lebte in der Wettegasse 149 in ärmlichen Verhältnissen, aber ohne irgendeine Unterstützung durch die Gemeinde in Anspruch zu nehmen.6 Die Gemeindewohnung bestand aus einem Zimmer und einer kleinen Kammer ohne Fenster, der Abort war ein Fass.6 Wirklich sehr bescheidene Wohnverhältnisse!

Bild 3: Parzellenübersicht und Lage der Wettegasse 149

Bild 4: Geometrischer Handriss von Wettegasse 149, 1933
Berufstätigkeiten
Eduard Löwenthal war gelernter Schuhmacher.6 Im letzten Kriegsjahr des
1. Weltkrieges musste er noch vom 08.02.1918 bis zum 31.08.1919 als Infanterist eines bayerischen Infanterie-Regiments (die Pfalz gehörte zu Bayern) an der Front kämpfen.7
Nach der Heirat mit Theresia 1929 wollte sich Eduard Löwenthal in Wäschenbeuren als Schuhmacher niederlassen. Jedoch wurde ihm dies verwehrt, da zuerst „Einheimische berücksichtigt werden mussten“.6 Von 1930 bis 1932 arbeitete Eduard deshalb als Hilfsarbeiter bei der Gemeinde Wäschenbeuren.6 Anschließend war er ein Jahr arbeitslos und dann wieder mit Unterbrechungen bei der Gemeinde beschäftigt.6 Ab Sommer 1934 arbeitete er dann immer sommers auf dem jüdischen Friedhof in Jebenhausen.6 Die Israelische Gemeinde unterstützte ihn stets finanziell und bedachte ihn auch mit Geschenken.6
Kurzzeitig arbeitete Eduard Löwenthal dann zwischen 1935 und 1938 in Göppingen bei der Firma Leonhard Weiss, der Firma Kinessa, bei der Firma Gbr. Frankfurter, der israelitischen Gemeinde und als Schreiner bei der Firma Speiser als Schreiner.6
Aufgrund seines nach innen wachsenden Kropfes und der dadurch von Jahr zu Jahr mehr erschwerten Atmung war er immer wieder arbeitsunfähig.6
Für kurze Zeit war Eduard Löwenthal auch Besitzer einer Schiffschaukel (Stand in Lorch), welche einige Male in Wäschenbeuren aufgestellt war. Vor dem Wegzug nach Pirmasens wurde diese jedoch verkauft.6 1936/ 37 war Löwenthal über die Wochenenden auf Jahrmärkten und betrieb die Schiffschaukel eines Herrn Rebmann. So auch an Pfingsten 1938.6
Anhand dieser Fakten lässt sich eindeutig belegen, dass Löwenthal immer wieder einer Beschäftigung nachging und er alleine den Lebensunterhalt seiner Familie bestritt.6
Verhaftung und der Weg in den Tod
Am Abend des 14.06.1938 wurde Eduard Löwenthal ohne jegliche vorherige Ankündigung vom Polizeimeister Strohm zu Hause abgeholt und auf das Rathaus in Wäschenbeuren gebracht.6 Theresia Löwenthal: „Strohm kam seinerzeit und sagte, mein Mann müsse aufs Rathaus kommen weil er verhört würde. Daraufhin ist mein Mann nicht mehr zurückgekommen.“6 Am darauffolgenden Tag verbrachte Strohm Eduard Löwenthal mit dem Auto nach Göppingen zum Amtsgerichtsgefängnis. Bei der Einlieferung ins Gefängnis soll Strohm gerufen haben: „Da bringe ich den Juden, nur hinein mit ihm.“6
Die Ehefrau Theresia war in Sorge und fragte nach: „Strohm hat mir keine Antwort gegeben, weshalb mein Mann in Haft genommen wurde.“6 Von Göppingen wurde Eduard am 27.06.1938 in das Konzentrationslager Dachau verbracht.6 Nach ca. 10 Tagen bekam seine Ehefrau von ihm die Nachricht: „Bin gesund befinde mich in Dachau: Lebe Wohl“8
Am 23./24.09.1938 wurde Eduard Löwenthal in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht.9 Als Einlieferungsgründe wurde in der Kommandantur „Arbeitsscheu Reich“ und zwei Vorstrafen wegen Betrugs mit insgesamt „3 Monate und 6 Tage Gefängnis“ eingetragen.9 Er bekam die Häftlingsnummer 9431, nach dem 20.04.39 die geänderte Nummer 2134 und wurde im Block 23 untergebracht.10
Löwenthal musste als „Steineträger“ Schwerstarbeit im Steinbruch leisten.9 Eine weitere große körperliche Belastung für den unter einem sich stetig vergrößerten Kropf leidenden Mann!6 Sein Tod wurde von den Nazis bewusst herbeigeführt!
Es berührt, wie sich die besorgte Theresia Löwenthal mehrfach an die Kommandantur des KZ wandte, um sich nach dem Ergehen ihres Mannes zu erkunden.9,11
Löwenthal selbst soll sich auch in einem Brief auch an den katholischen Pfarrer Noll von Wäschenbeuren gewandt haben mit der Aussage: „Er hoffe, bald wieder zu Hause zu sein.“6
Nach knapp 32 Monaten in Konzentrationslagern verstarb Eduard Löwenthal am 20.01.1941 im Krankenrevier des Konzentrationslagers Buchenwald.9 In einem lapidaren Schreiben wurde die Familie über den Tod informiert.11 Als Todesursache wurde Herz- und Kreislaufschwäche angegeben.9,11
Eduard Löwenthal durfte nur 42 Jahre alt werden.

Bild 5: Die Todesnachricht
Copy of 1.1.5.3 /6520528
In conformity with the ITS Archives, Bad Arolsen
Individuelle Unterlagen KZ Buchenwald

Bild 6: Lagerkartei
Copy of 1.1.5.3 /6520529
In conformity with the ITS Archives, Bad Arolsen
Individuelle Unterlagen KZ Buchenwald

Bild 7: Erfassung der mitgebrachten Kleidungsstücke und Wertsachen
Copy of 1.1.5.3 /6520530
In conformity with the ITS Archives, Bad Arolsen
Individuelle Unterlagen KZ Buchenwald

Bild 8: Häftlingskartei mit errechnetem Restguthaben
Copy of 1.1.5.3 /6520546
In conformity with the ITS Archives, Bad Arolsen
Individuelle Unterlagen KZ Buchenwald

Bild 9: Übersendung hinterlassene Eigentumssachen und Bargeld, Unterlagen KZ Buchenwald
Copy of 1.1.5.3 /6520540
In conformity with the IST Archives, Bad Arolsen
Individuelle Unterlagen KZ Buchenwald
„Der NS-Apparat“ arbeitete akribisch „buchhaltergemäß“ bis ins Detail und über den „Tod des Gepeinigten“ hinweg. Die Nazi-Schergen errechneten die „Restsumme“, über die der Tote verfügte. Der Restbetrag wurde „natürlich“ an die Witwe Theresia Löwenthal ausbezahlt.11

Bild 10: Das Grab von Eduard Löwenthal auf dem Friedhof in
Wäschenbeuren (Foto privat)
Man kann vermuten, dass Theresia die Urne ihres Mannes Eduard bei der Kommandantur im KZ Buchenwald zur Bestattung angefordert hatte und deshalb die Urne vom KZ an das Rathaus in Wäschenbeuren gesandt wurde.8
In einer Ecke des Friedhofes in Wäschenbeuren, nahe der nördlichen Friedhofsmauer, wurde die Urne 1941 beigesetzt.9
Das Grab von Eduard Löwenthal wird heute von der Gemeinde gepflegt.12
Hintergründe der Verhaftung
Es ist davon auszugehen, dass Eduard Löwenthal von dem Polizisten Hans Strohm gemäß der Anordnung Ziffer 2 des Schnellbriefs des Reichskriminalpolizeiamtes vom 1.06.1938 als vorbestrafter Jude in Haft genommen wurde: Vom 13. bis 18. Juni 1938 führten die Nationalsozialisten die „Mission“ „Arbeitscheu Reich“ (auch als Juni Aktion bekannt) durch.13 Dabei wurden 4 000 Männer festgenommen und in Konzentrationslager deportiert. Von diesen 4 000 Männern waren 2 300 Juden. Die meisten der Deportierten wurden dazu eingesetzt, unter unmenschlichsten Bedingungen Buchenwald zum größten Konzentrationslager im Zentrum Deutschlands aufzubauen. „Hitler selbst hatte angeordnet, die Aktion im Juni zusätzlich zu den sogenannten Asozialen (Bettler, Landstreicher, Alkoholiker) auch gegen Juden, denen man eine Vorstrafe von mindestens vier Wochen Länge nachweisen kann“ durchzuführen.13
Im Fall von Eduard Löwenthal spielte vielleicht auch eine Liste von seinen Vorstrafen die verhängnisvolle Rolle, die, bedingt durch seinen eigenen Antrag von 1934 auf Verleihung des Ehrenkreuzes für Frontkämpfer, vom Amtsgericht Zweibrücken zum Oberamt Welzheim gelangte.7
Ursprünglich hatte Bürgermeister Köder von Wäschenbeuren den Antrag Löwenthals auf Verleihung des Ehrenkreuzes unterstützt. Erst nach Einholung des Strafregisterauszugs über Vorstrafen durch das Oberamt Welzheim schrieb der Bürgermeister, dass nicht mehr „von einer Würdigung gesprochen werden kann.“7Es kann vermutet werden, dass auch der zuständige Polizeimeister Einblick in die Liste nehmen konnte und sie dann für sein Handeln benutzte. Es spricht alles dafür, dass dieser Polizist Strohm die zentrale Rolle als „Totengräber Löwenthals“ spielte.
Hans Strohm war von 1929 bis 1941 „Meister der Gendarmerie“ in Wäschenbeuren.14 Nachdem er von 1941 bis 1943 in Ebersbach eingesetzt
worden war, arbeitete er von 1944 bis 1945 wieder in Wäschenbeuren.14,15 Den
Akten aus dem Archiv in Ebersbach ist zu entnehmen, dass Strohm ein überzeugter Nationalsozialist war, ohne der NSDAP anzugehören.8 Und selbst einem seiner früheren Vorgesetzten fiel Strohm auf. Richard Engelmann, später Vorsitzender der Spruchkammer führt aus: „…besonders anmaßender intriganter Nazi… notorisch dem Trunke ergebener Mensch.“8
Strohm rühmte sich, dass dank ihm Wäschenbeuren „zigeunerfrei“ sei und auch keine „Zigeuner“ mehr kommen würden.8 Er galt als der „Zigeunerschreck“.6 Diese Aussage belegt seinen widerwärtigen Rassismus der sicherlich seinen Hass und sein Handeln im Hinblick auf Löwenthal begründet.
Im Wiedergutmachungsprozess von 1952 sagte der katholische Ortspfarrer Noll als Zeuge: „Ich habe aber angenommen, dass er aus rassischen Gründen verhaftet worden ist. Darin bestärkt mich auch die Andeutung von Frau L., dass Strohm ihrem Mann einen ganz bösen Blick gegeben habe.“6
Ein Jude durfte nicht in Wäschenbeuren leben. Er musste aus der „Volksgemeinschaft“ entfernt werden. Und er, Hans Strohm, – so kann man vermuten – musste dafür sorgen!
Es darf angenommen werden, dass es Methode hatte, Löwenthal einen unsoliden Lebenswandel zu unterstellen. Strohm behauptete, Löwenthal sei Trinker, Bettler, hätte Vorstrafen und sei arbeitsscheu. Zudem verleumdete er ihn als schlechten Familienvater, da die Kinder angeblich in Kisten liegen würden.6 Alle diese üblen Beschuldigungen wurden im späteren Wiedergutmachungsverfahren eindeutig von verschiedenen Zeugen widerlegt.
Die „Juni-Aktion“ der Nationalsozialisten war augenscheinlich für Strohm ein geeignetes Mittel, sein Ziel zu erreichen. So holte er Eduard Löwenthal direkt nach der Arbeit zu Hause ab und brachte ihn angeblich wegen einer Überprüfung aufs Rathaus.6 Der Bürgermeister Eugen Köder und der Ortsgruppenleiter Alfons Wohlschiess waren nicht zugegen.8 Köder soll sich zudem später über die entstandenen Kosten der privaten Autofahrt ohne seine Kenntnis geärgert haben.8
Theresia Löwenthal

Bild 11: Familie Löwenthal
von links: Walter Löwenthal, Ehefrau Ingrid Löwenthal, Theresia Löwenthal; Kinder v.l. : Eduard Löwenthal, Ehrenfried Löwenthal Foto : Privat, Aufnahme von ca. 1956.
Nachdem ihr Ehemann deportiert worden war, war Theresia Löwenthal in ärmlichsten Verhältnissen allein mit drei kleinen Kindern zurückgeblieben, ohne zu erfahren, was mit ihrem Mann geschehen war.
Dementsprechend kämpfte Theresia um eine Auskunft über ihren Mann und schrieb mehrmals an die „Verwaltungsstelle“ des Konzentrationslagers Buchenwald. Sie wollte wissen, wie es ihrem Eduard geht. Jedoch wurde kein einziger Brief jemals beantwortet.11

Bild 12: Theresia´s Schreiben an das Konzentrationslager Buchenwald, Teil 1
Copy of 1.1.5.3 /6520533
In conformity with the ITS Archives, Bad Arolsen
Individuelle Unterlagen KZ Buchenwald

Bild 13: Theresia´s Schreiben an das Konzentrationslager Buchenwald, Teil 2
Copy of 1.1.5.3 /6520533
In conformity with the ITS Archives, Bad Arolsen
Individuelle Unterlagen KZ Buchenwald
Transkription:
12.9.1939
An die Verwaltungsstelle Weimar-Buchenwald
Ich möchte mich gerne erkundigen, wegen meinem Ehemann. Ob er krank ist, oder was eigentlich los ist mit ihm. Habe seit 20.8. keine Post mehr erhalten. Ich bin so arg in Sorge und schlafen kann ich ja schon längere Zeit nicht mehr. Ich habe schon oft gedacht ich möchte nur wissen wie lange es noch dauert bis mein Mann wieder in die Heimat zu Weib und 3 kl. Kinder heimkehren darf.
Ich kann mir ja gar nicht denken, was er gemacht haben soll, daß er in Weimar inhaftiert ist.
Bitte möchten die Herren mir darüber Bescheid schreiben über meine Anfrage u. Bitte.
Hochachtungsvoll
Frau Theresia Löwenthal
geb. Deibele Wäschenbeuren
Kreis Göppingen Württemberg
Mit deutschem Gruß
Heil Hitler

Bild 14: Karte von Theresia Löwenthal, 1. Teil, Bestand ITS
Copy of 1.1.5.3 /6520532
In conformity with the ITS Archives, Bad Arolsen
Individuelle Unterlagen KZ Buchenwald

Bild 15: Karte von Theresia Löwenthal, 2. Teil, Bestand IST
Copy of 1.1.5.3 /6520532
In conformity with the ITS Archives, Bad Arolsen
Individuelle Unterlagen KZ Buchenwald
Transkription:
4.Oktober 40
An die Verwaltungsstelle
Weimar
Buchenwald
Konzentrationslg. Thüringen
Wehrte Herren!
Möchte gerne anfragen, ob mein Mann krank ist oder sonst was
Eduard Löwenthal N 2134
Block 21 Indem ich ganz in Sorgen bin.
Wehrte Herren! Ich habe doch jetzt seine Pappiers geschickt, und bis jetzt noch keine Antwort über das.
Es sind schon 6 Wochen her, seit min Mann mir nicht mehr geschrieben hat. Bitte sind so gut u. geben Sie mir Bescheid über diese Angelegenheit. Ich danke Ihnen für ihre Bemühungen
Zum Voraus.
Frau Löwenthal Wäschenb.Kreis Göppingen
Württemberg
Theresia kämpft ums Überleben der Familie
Seit der Verhaftung des Familienvaters Eduard Löwenthal im Juni 1938 fehlte der Ernährer der fünfköpfigen Familie.6
Um das Überleben ihrer Kinder zu sichern, arbeitete sie Theresia Löwenthal nun als Putz- und Waschfrau bei dieser Familie Strohm.6,8 Theresia Löwenthal Sie befand sich somit in einem Abhängigkeitsverhältnis, was im Wiedergutmachungsverfahren vermutlich eine Rolle bezüglich ihrer Aussage spielte.
Dabei wurde ihr – nach Aussagen der noch lebenden Schwiegertochter Ingrid und Ehefrau des Sohnes Walters – von Seiten Strohms gedroht, wenn sie, Theresia, gegen ihn, Strohm, aussage, werde er ihren Sohn Walter nach Russland bringen lassen.2 Es darf angenommen werden, dass er sie unter einen ungeheuren Druck setzte, der auch noch lange nach Kriegsende anhielt.
Theresias ältester Sohn Walter entging nur knapp dem Einzug zum Militär. Nach Aussagen von Oma Ingrid wurde Walter zum Ende des Krieges noch an die Front geordert. Er hatte aber großes Glück! Der Transport konnte nicht durchgeführt werden, weil die Eisenbahngleise durch die Bombardierung von durch amerikanischen Flugzeugen zerstört worden waren.2
Das Wiedergutmachungsverfahren von 1952
Die Witwe Theresia Löwenthal hatte ein schweres Los. Zum einen hatte sie den Ernährer der Familie 1941 durch dessen im KZ herbeigeführten Tod zu ersetzen und gleichzeitig drei heranwachsende Kinder zu erziehen und zu fördern. Zum anderen hatte sie am 19.04.1945 ihr ganzes Hab und Gut beim Bombenangriff der Amerikaner US-Luftstreitkräfte auf ihren Heimatort Wäschenbeuren verloren.16 Sie bewohnte nun mit ihren drei Kindern ein Zimmer (6m lang, 3,5m breit) mit Küchenbenutzung im alten Schulhaus und hatte auch kein Geld.6 Das Schicksal ersparte ihr wahrlich nichts! Und dann musste sie auch noch im Wiedergutmachungsverfahren von 1952 für eine Anerkennung der Deportation und Ermordung ihres Mannes kämpfen.6 Es wurde von dem juristischen Vertreter des Landes Baden-Württemberg in diesem Verfahren angezweifelt, ob Eduard wegen seiner Vorstrafen oder wegen seiner jüdischen Abstammung deportiert worden war.6 Jedoch sagten mehrere Zeugen für die Deportation Eduard Löwenthals auf Grund seiner Rasse aus und widerlegten die Aussagen Strohms.6 Endlich bekam die arme Frau ab 1.11.1953 eine monatliche Witwenrente und eine finanzielle Entschädigung!6
Beispielsweise tätigte der ehemalige Nachbar Josef Maier, 73 Jahre alt und Rentner, im Wiedergutmachungsverfahren die Aussage: „ Ich habe auch nicht gewusst, warum er geholt wurde, aber ich habe mir gedacht, vielleicht deshalb weil er Jude ist.“ 6
Obwohl Strohm behauptete, er hätte Eduard auf Anordnung von Göppingen deportieren müssen, gab es niemand Weiteren, der in Wäschenbeuren als asozial galt und deswegen weggebracht wurde.6 Der von 1936-1943 amtierende Landrat in Göppingen, Alfred Nagel, konnte sich nach seiner Zeugenaussage im Wiedergutmachungsverfahren nicht erinnern, dass 1938 eine Verhaftungsaktion gegen Juden und asoziale oder andere Personen durchgeführt worden sei.6
Und der damalige Oberregierungsrat Dr. Karl Kübler führte außerdem aus: „gänzlich ausgeschlossen, dass vom Landratsamt Göppingen eine Verhaftungsanordnung erteilt wurde. Das Landratsamt Göppingen konnte sich mit den Angehörigen eines fremden Kreises gar nicht befassen und es kann auch nicht richtig sein, dass der Polizeibeamte Strohm seine Weisungen aus Göppingen erhalten hat.“6
Eduard Löwenthal wird der Vorname „Israel“ verordnet
„Ab 17. August 1939 mussten die allermeisten deutschen Jüdinnen und Juden aufgrund des Gesetzes zur Namensänderung stigmatisierende Vornamen annehmen: Männer mussten „Israel“ als zweiten Namen führen, Frauen „Sara“.17
Auch bei Eduard Löwenthal wurde dementsprechend in seiner Karteikarte im KZ der Vorname „Israel“ eingetragen und an das Standesamt in Göppingen weitergeleitet. So findet sich die „Berichtigung des Vornamens“ auch in der Meldekartei in Göppingen.4 Zudem ließ das NS-Regime festhalten, dass Eduard Löwenthal den Vornamen „freiwillig“ angenommen habe!4

Bild 16: Ergänzung im Aufgebotsverzeichnis des Standesamts Göppingen

Bild 17: Transkription zu Bild 15
Eine besondere Tragik
Im Spruchkammerverfahren gegen Hans Strohm wurde Theresia Löwenthal auch für eine Aussage vorgeladen.18 Sie hob in einer eidesstattlichen Erklärung, die die Anwälte Strohms vorlegten, die Unterstützung durch ihn hervor. Sie beschreibt, dass er ihre Kinder unterstützte und sie Putz- und Waschdienste bei der Familie verrichtete und sprach sich nicht gegen Strohm aus.18 Dem von ihm aufgebauten Druck konnte sich die leidgeprüfte Frau – davon darf man ausgehen – auch nach dem Ende der Nazidiktatur nicht entziehen.
Ironie des Schicksals: unter anderem dank ihrer Aussage wurde Strohm in seinem Entnazifizierungsverfahren im April 1948 nur als „Minderbelasteter“ eingestuft und musste 1000 RM „Sühne“ bezahlen.18 Allerdings dürfte ihn die Geldstrafe nicht sehr belastet haben, da wenige Monate später bereits die Währungsreform durchgeführt wurde. Für 10 Reichsmark bekam man eine Deutsche Mark.19

Bild 18: Aussage der Theresia Löwenthal zugunsten Strohms in dessen Spruchkammerverfahren18
Schlusswort
Jede aufgearbeitete Geschichte eines ermordeten Menschen der Nationalsozialisten ist ein Schritt gegen das Ziel des damaligen Regimes, alle Menschen, welche nicht in ihre Ideologie passten, auszulöschen.
Wie so viele, konnte auch die Familie Löwenthal nicht eine eindeutige Gewissheit über die Deportation von ihrem Vorfahren Eduard Löwenthal gewinnen. Wohl können wir auch nicht nachvollziehen, wie schwer und schrecklich es für Eduard und seine Familie gewesen sein muss, dieses Schicksal zu ertragen!
Wir möchten daher diesen Stolperstein dem Gedenken an Eduard Löwenthal und stellvertretend allen Opfer des Nationalsozialismus widmen. Niemals soll vergessen werden, was der Nationalsozialismus nicht nur unserem Vorfahren, sondern auch anderen Millionen von Menschen angetan hat.
DANKSAGUNG
Wir sind überaus dankbar, dass wir mehr über das Leben und die Verfolgung unseres Vorfahrens unserer Vorfahren erfahren durften und möchten all unseren Dank an die Stolpersteininitiative und insbesondere Frau Taudte aussprechen. Ohne Sie wären viele Hintergründe in Vergessenheit geblieben. Ohne sie wäre der Kampf gegen das Vergessen nicht zu bestreiten!
In Erinnerung und gegen das Vergessen
Familie Löwenthal
Zusatzinformation
Konzentrationslager Buchenwald 1937–1945
Im Juli 1937 lässt die SS auf dem Ettersberg bei Weimar den Wald roden und
errichtet ein neues KZ. Mit dem Lager sollen politische Gegner bekämpft, Juden, Sinti und Roma verfolgt sowie „Gemeinschaftsfremde“, unter ihnen Homosexuelle, Wohnungslose, Zeugen Jehovas und Vorbestrafte, dauerhaft aus dem deutschen „Volkskörper“ ausgeschlossen werden. Schon bald wird Buchenwald zum Synonym für das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager.
Nach Kriegsbeginn werden Menschen aus ganz Europa nach Buchenwald verschleppt. Im KZ auf dem Ettersberg und seinen 139 Außenlagern sind insgesamt fast 280.000 Menschen inhaftiert. Die SS zwingt sie zur Arbeit für die deutsche Rüstungsindustrie.
Am Ende des Krieges ist Buchenwald das größte KZ im Deutschen Reich. Über 56.000 Menschen sterben an Folter, medizinischen Experimenten und Auszehrung. In einer eigens errichteten Tötungsanlage werden über 8000 sowjetische Kriegsgefangene erschossen. Widerstandskämpfer bilden im Lager eine Untergrundorganisation, um das Wüten der SS nach besten Kräften einzudämmen. Gleichwohl wird das „Kleine Lager“ zur Hölle von Buchenwald. Noch kurz vor der Befreiung sterben Tausende der entkräfteten Häftlinge.
Als die Amerikaner im April 1945 Buchenwald und seine Außenlager erreicht haben, schreibt Dwight D. Eisenhower, der Oberbefehlshaber der Alliierten Streitkräfte: „Nichts hat mich je so erschüttert wie dieser Anblick.“20

Bild 19: Gedenkstätte des Konzentrationslagers Buchenwald, Eingang in das Lager (Foto privat)

Bild 20: Gedenkstätte des Konzentrationslagers Buchenwald, Gedenkstein am Standort des ehemaligen Blocks 23, dem Eduard Löwenthal zugeordnet war (Foto privat)

Text und Fotos beruhen auf einer im Oktober 2019 erscheinen Broschüre mit dem Titel: ‚Im Gedenken an Eduard Löwenthal 1899-1941‘. Die Autorinnen sind Julia und Sarah Löwenthal, Co- Autorin ist Angelika Taudte. Design: Saskia Staible“
10.07.2020 / at
Schreibe einen Kommentar