Hauptstr. 2

Betty Bergmann, gebürtig aus Gunzenhausen im Fränkischen Seenland, war 22 Jahre alt, als sie 1910 den 33-jährigen Göppinger Kaufmann Ludwig Heimann heiratete.

Das Bekleidungshaus Heimann auf einem Foto aus dem Jahr 1907
Der heutige Nachfolgebau: Drogeriemarkt Müller

Sein Vater hatte 1867 ein Bekleidungshaus in der besten Lage Göppingens, genau gegenüber dem Rathaus, gegründet und zu einer der ersten Adressen aufgebaut. 1913 übernahmen Louis, wie sich Ludwig nun nannte, und Betty das Geschäft.

Am 1. April 1933 postierten sich SA-Männer vor dem Eingang des Warenhauses und warnten davor, beim Juden Heimann zu kaufen: Er sei ein Betrüger, Wucherer und Verräter. Ihr Geschäft wurde, wie alle jüdischen Läden der Stadt, mit einem Plakat mit einem gelben Punkt auf  schwarzem Grund gekennzeichnet. Der erste Schritt, um die Existenz der Geschäftsleute zu gefährden, war getan, die ‚arischen‘ Kunden blieben zunehmend aus und damit der Verdienst. Ihr Ansehen in der Stadt war offiziell zunichtegemacht, als ‚Volksschädlinge‚ konnten sie ungestraft diffamiert werden. Schikanen verschiedenster Art folgten.

Anzeige in der Göppinger Lokalzeitung ‚Hohenstaufen‘ vom 27.07.1935.
Die vergleichsweise großformatige Anzeige zeigt, wie selbstbewußt
das Ehepaar Heimann in den ersten Jahren der NS -Zeit noch war.

1937 schickte das Ehepaar Heimann ihr einziges Kind, den 16-jährigen Rolf, nach Nordamerika, um ihn vor weiteren Demütigungen und Ausgrenzungen zu schützen.

Im September 1938 sahen sich Betty und Louis Heimann gezwungen, ihr Geschäft, das 70 Jahre im Besitz der Familie Heimann gewesen war, zu verkaufen. „Aus Gründen rassischer Verfolgung“ – so die Formulierung in den Akten – veräußerten sie es an Helmut Haux, der ihnen Waren und Einrichtung abkaufte und das Geschäftshaus in der Hauptstraße 2 anmietete. Kurz danach zogen sie dort aus und kamen in der Östlichen Ringstraße unter.

In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938, der Reichspogromnacht, wurden 34 jüdische Männer und Frauen aus ihren Wohnungen geholt und ‚in Schutzhaft‚ genommen. Ob auch Betty Heimann abgeführt wurde, da sie von der SA als ‚politisch aktivistisch gewesene Jüdin‘ bezeichnet wurde, ist nicht gesichert. Eine Augenzeugin meinte, man habe sie im Morgengrauen an einem Strick um den Hals durch die Straßen geschleift. Im Dezember desselben Jahres mussten die Heimanns, wie alle Juden, 20 Prozent ihres gesamten Vermögens als ‚Sühneleistung‚ für die in der Reichskristallnacht entstandenen Schäden an die Stadt abgeben.

Laut den Akten versuchte das Ehepaar ab 1939 mehrfach auszuwandern. Im Juni verschickten sie einen Container mit Möbeln nach Rotterdam, wenig später noch weiteres persönliches Hab und Gut. Wohl hatten sie mehrmals die Hoffnung, ein Visum zu erhalten, um dem Terror zu entkommen. Vergeblich! Am 20. August 1942 wurden Betty und Louis Heimann mit anderen ‚Volljuden‘ zusammengetrieben und nach Theresienstadt deportiert. Sie durften nur ihren Ehering und eine Uhr mitnehmen.

Zwei Tage später war ihr Konto gelöscht, ihr Geld war in den – unrechtmäßigen –  Besitz des Deutschen Reichs übergegangen. Ihr Geschäfts- und Wohnhaus am Markplatz, das sie an Helmut Haux vermietet hatten, ging notariell beglaubigt an den neuen Besitzer über, das Deutsche Reich.

Von Louis Heimann weiß man das Sterbedatum und den -ort: der  15. August 1943 in Theresienstadt.

Sterbeurkunde Louis Heimann

Seine Frau Betty wurde zum letzten Mal im Mai 1944 auf einem Transport ins Vernichtungslager Auschwitz gesehen, dann verliert sich ihre Spur. Seit April 2007 liegen die Stolpersteine für Betty und Louis Heimann vor dem ehemaligen Wohn- und Geschäftshaus Hauptstraße 2.

Aus der näheren Familie von Louis und Betty Heimann wurden Jenny Heimann und Ihre Tochter Felicia sowie Bettys Neffe Eduard Gunzenhäuser, deportiert nach Izbica 1942, ermordet.

(10.10.2019 clm)

Zeitungsartikel