Geboren am 14. August 1907 in Düren
Deportiert am 1. Dezember 1941 nach Riga/Jungfernhof und dort ermordet
Interniert in Weißenstein während des Novembers 1941

Im Dezember 1905 lebten in der Stadt Düren im Rheinland 29.771 Einwohner, darunter 268, die dem israelitischen Glauben angehörten, so auch die Familie Capell. Hermann Heymann Capell war der erste Träger dieses Namens, der sich in Düren nieder gelassen hatte. Er war 1778 in Jülich zur Welt gekommen und es handelt sich um den Urgroßvater von Hermann Capell, dessen Leben hier dargestellt werden soll. Die Capells, soweit man von einer Gründer-Familie ausgehen kann, gehörten also zu den Alteingesessenen in der Stadt.

Am 14. August 1907 wurde Hermann Capell in eine für jüdische Deutsche noch recht intakte Welt hinein geboren, auch wenn Judenhass schon damals in Schrift und Wort verbreitet wurde. Die jüdischen Dürener waren häufig Kaufleute, auch ein Arzt war unter ihnen; in den Gemeinden des ländlichen Umlands fanden sich einige jüdische Viehhändler. Hermanns Eltern waren der 1880 geborene Josef Capell und dessen Ehefrau Amalie, geb. Voos (manchmal auch ‚Voss‘ geschrieben), die 1888 geboren wurde und aus Kerpen stammte. Das Paar war schon seit 1906 verheiratet; das Anwesen der Capells, das innerstädtisch gelegene Haus Kölnstraße 72, war seit 1900 im Besitz der Familie Capell.

Foto Kölnstraße

Hermanns Vater Josef Capell hatte noch sieben Geschwister und es ist typisch für den Generationenwechsel, dass Josef selbst nur zwei Kinder hatte: neben Hermann die erst 1919 geborene Tochter Lieselotte. Aus Hermanns Kindheit und Jugend ist nur überliefert, dass er 1926 erfolgreich den Besuch des Dürener evangelischen ‚Realgymnasiums mit Realschule‘ abschließen konnte. Aufgrund der Verweildauer kann man vermuten, dass er einen Gymnasialabschluss erreichte.

Wie das Leben von Hermann Capell in den 10 Jahren nach seinem Schulabschluss verlief, ist nicht bekannt. Den Gewerbeanmeldungen der Stadt Düren ist zu entnehmen, dass Hermann Capell am 23.10.1934 im elterlichen Haus einen ‚Papierwaren-Großhandel‘ anmeldete. Er führte damit das Geschäft seines Vaters weiter, der seit dem Jahr 1912 als Inhaber des ‚Papiergroßhandels Gebr. Capell‘ firmierte. Da Düren ein Zentrum der Papierherstellung war, blieb die Wahl des Ressorts naheliegend. Es bleibt aber die Frage offen, ob Hermann Capell lieber einen akademischen Beruf gewählt hätte, was ihm später durch die NS-Verordnungen verwehrt war. Am 31. August 1936 starb sein Vater Josef Capell, erst 56 Jahre alt. Wenige Jahren zuvor, im März 1931 hatte Josef im Haus auch eine Getreide- und Futtermittelhandlung gegründet. Etwas verwunderlich ist dabei, dass die erst 12-jährige Tochter Lieselotte als Mitinhaberin eingetragen wurde.

Mit dem Beginn der NS-Diktatur erlitten auch in Düren jüdische Deutsche Ausgrenzung, Demütigung und potentielle Gewalt. Kulminationspunkt war die Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938, als auch in Düren die Synagoge von Nazi-Banden in Brand gesetzt, die jüdischen EinwohnerInnen terrorisiert wurden und sie in der Folge ihre Geschäfte aufgeben oder unter Wert verkaufen mussten. 26 jüdische Männer aus Düren wurden in der Folge in die Konzentrationslager Sachsenhausen und Buchenwald verbracht und dort interniert. Es konnte nicht geklärt werden, ob auch Hermann Capell unter ihnen war. Kurze Zeit danach, der Weiterbetrieb seines Papiergroßhandels war ihm unmöglich gemacht worden, dürfte Hermann Capell seine Heimatstadt verlassen haben und nach Stuttgart gezogen sein.

Hermann Capell in Stuttgart

Hermanns Aufenthalt in Stuttgart ist nur indirekt zu belegen, denn sein Name taucht in keinem der Adressbücher der Jahre 1938 bis 1941 auf. Das Stadtarchiv Stuttgart verfügt allerdings über sogenannte ‚Judenlisten‘, die die NS-Verwaltung anlegen ließ. Diesen ist zu entnehmen, dass Hermann Capell unter folgenden Adressen wohnte: Januar 1939 in der Johannisstr. 51, 2. Stock. Genau dort finden sich im Adressbuch von 1938 die Namen von vier ‚jüdischen‘ MieterInnen, darunter ‚Strauß J. + Sohn, Woll-, Fell- und Rauchwarengroßhandlung‘. Hatte Hermann Capell dort noch für kurze Zeit eine Anstellung als Kaufmann gefunden?

Schon die ‚Judenliste‘ von Mitte Oktober 1939 weist eine andere Adresse aus: ‚Capell, Hermann Israel, kaufm. Angestellter, Urbanstr. 116, Eg‘. Von den 13 Mietparteien dieses Hauses sind im Adressbuch von 1940 sechs als ‚jüdisch‘ zu identifizieren und für das Erdgeschoss ist Willi Israel Stern, ein Kaufmann, der als Hilfsarbeiter arbeiten musste, eingetragen. Wohnte Hermann Capell mit in dessen Wohnung?

Auch in der Urbanstraße konnte Hermann nicht lange bleiben, die ‚Judenliste‘ von Ende Dezember 1940 weist die Werastr. 16, 2.Stock als seine neue Adresse aus. Das Haus gehörte der jüdischen Familie Lieblich und laut Adressbuch von 1941 waren 10 von 12 Wohneinträgen ‚jüdisch‘. Das ‚Judenhaus‘ Werastr. 16 findet sich auch auf dem Dokument vom 24.10.1941, auf dem 42 jüdischen StuttgarterInnen aufgelistet wurden, die ins Zwangswohnheim Schloss Weißenstein verbracht werden sollten, darunter Hermann Capell – wobei nur er aus der Werastr. 16 kam.

Im Zwangswohnheim Schloss Weißenstein interniert,
in Lettland ermordet

Als erst 34-Jähriger, als Mann und als Nicht-Schwabe war er unter den anderen Internierten eine Ausnahme. Vermutlich gehörte er zu denjenigen, die dem Hausmeisterehepaar Falk tatkräftig zur Seite stehen konnten – mussten doch im beginnenden Winter die Einzelöfen mit Holz und Kohle versorgt werden. Hermann Capells Aufenthalt im Schloss Weißenstein war von kurzer Dauer, denn er wurde schon Ende November 1941 zusammen mit 16 weiteren Schlossinsassen nach Stuttgart/Lager Killesberg verbracht und am 1. Dezember 1941 nach Riga/Lager Jungfernhof deportiert. Hier wurde Hermann Capell von den deutschen Nazis oder ihren lettischen Hilfstruppen ermordet. Ob er im Winter 1941/42 erfroren ist oder im März 1942 im Wald Bikernieki erschossen wurde, ist nicht überliefert.

Das Schicksal von Lieselotte und Hans Claeßen

Während Hermann in Stuttgart lebte, heiratete seine Schwester Lieselotte, die den Beruf einer ‚Kinderbetreuerin‘ erlernt hatte, den 15 Jahre älteren Kaufmann Hans Claeßen, der aus Emmerich stammte. Die Hochzeit fand am 8. November 1940 in Düren statt; das Ehepaar ließ sich in Köln, Spichernstr. 34 nieder. Von Köln aus wurden sie am 30. Oktober 1941 ins KZ Ghetto Litzmannstadt (Lodz) verbracht, wo sie in der Bleigasse 26 unterkamen und vermutlich jahrelang Zwangsarbeit leisten mussten, hoffend, dass ihr Arbeitseinsatz das Überleben garantieren würde. Auf der Deportationsliste nach Litzmannstadt wird Hans als ‚Arbeiter‘ bezeichnet, Lieselotte als ‚Betreuerin‘. Im Zuge der schrittweisen Auflösung des Ghettos im Juni 1944 wurde das Ehepaar ins Vernichtungslager Kulmhof (Chelmo) deportiert und dort ermordet.

In Emmerich, vor dem Haus Fischerort 8, wo die Familie Claeßen ein Textilgeschäft führte, liegen Stolpersteine. Sie erinnern an Hans, seine Mutter Helene, geb. Levy und seine Schwester Gertrud, die alle von den Nazis ermordet wurden. Da Lieselotte Claeßen, geb. Capell nie in Emmerich gelebt hatte, konnte für sie dort auch kein Gedenkstein gelegt werden. (Für die Informationen zu Emmerich danken wir dem ‚Schürmann – Archiv Emmerich am Rhein‘.)

‚Verschollen‘: Hermanns Mutter Amalie

Nach Hermanns und Lieselottes Wegzug lebte die verwitwete Amalie Capell alleine in Düren. Wie lange konnte sie in der vertrauten Wohnung im Haus Kölnstr. 72 bleiben? Ein einschneidendes Datum wird der 13. Dezember 1940 gewesen sein: An diesem Tag wurde das Haus mit Grundstück öffentlich versteigert: Das heißt, Amalie Capell war zuvor zum Verkauf gezwungen worden.

Westdeutscher Beobachter, 29.11.1940, Anzeigenteil (Quelle: Stadtarchiv Düren)

Konnte sie weiter im Haus wohnen? Ende April 1941 wurde in Düren nämlich eine Zwangswohnstätte für die noch verbliebenen Jüdinnen und Juden der Stadt in der alten Gerstenmühle eingerichtet.

Gerstenmühle in Düren (Quelle: Stadtarchiv Düren)

Wenige ihrer Möbel nur durften die Entwurzelten dorthin mitnehmen. Einem Dokument aus dem Jahr 1952 zufolge wurde auch Amalie in der Gerstenmühle interniert, dann, im Jahr 1942, nach Osten‘ deportiert. Wann und wohin, konnte nicht geklärt werden. Die meisten Jüdinnen und Juden aus Düren wurden im Juni 1942 ins Ghetto KZ Theresienstadt verbracht, Amalie Capell anscheinend aber nicht. Leider muss man davon ausgehen, dass auch sie von den deutschen Nazis ermordet wurde.

Weitere Ermordete aus Hermann Capells Verwandtschaft

Mütterlicherseits, Familie Voos

Hermanns Großvater, der 1856 geborene Philipp Voos, lebte als Witwer in Kerpen. Der alte Herr wurde am 27. Juli 1942 von Köln ins KZ Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er aufgrund der mörderischen Lebensumstände am 3. Dezember 1942, wenige Tage vor seinem 86. Geburtstag starb.

Todesfallanzeige Philipp Voos

Nathan Baum, geb. 1883 war der Witwer von Hermanns Tante Sophia, geb. Voos, der jüngeren Schwester seiner Mutter. Herr Baum, der als Viehhändler gearbeitet hatte, wurde am 20. Juli 1942 von Köln aus nach Minsk deportiert und in Maly Trostinec ermordet.

Foto Nathan Baum (Quelle: Yad Vashem)

Nach dem frühen Tod seiner Frau Elise, geb. Wallich (Hermanns Großmutter) hatte Philipp Voos in zweiter Ehe Jeanette Julie Cohen geheiratet und hatte mit ihr vier Kinder. Auch aus diesem Familienzweig wurden Menschen vom NS – Regime ermordet:

Hermanns (Halb-) Tante Paula wurde zusammen mit ihrem Ehemann Hermann Kaufmann ebenfalls am 20.Juli 1942 nach Minsk deportiert, ihr Leben endete in Maly Trostinec.

Paulas jüngster Bruder, der 1896 geborene Heinrich (Heinz) Voos, der ledig geblieben war, wurde 1942 ins KZ Ghetto Theresienstadt verbracht. Hermann Capells (Halb-) Onkel wurde von dort im September 1944 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert.

Väterlicherseits, Familie Capell

Hermanns älteste Tante Rosalie, 1873 geboren, lebte mit ihrem (zweiten) Ehemann Sally (Salomon) Abrams in Dortmund. Das Ehepaar wurde im Juli 1942 zunächst ins KZ Ghetto Theresienstadt verbracht und im Mai 1944 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet. Ihrer Tochter Herta (eine Cousine Hermanns) muss die Flucht gelungen sein, denn sie füllte in den 1990er Jahren Yad Vashem Gedenkblätter für ihre ermordeten Verwandten aus.

Bertha (Berta) Capell, geboren 1882, war Hermanns jüngste Tante. Die ledige Frau, die in Düren geblieben war, flüchtete am 25. April 1941 in den Tod, als ihr die Einweisung in die Zwangsunterkunft Gerstenmühle drohte.

Ungeklärt bleibt das Schicksal von Ludwig (Louis) Capell, geboren 1885, Hermanns jüngstem Onkel. Der internationale Suchdienst Arolsen konnte im Jahr 1953 nur zur Auskunft geben: ‚1942 von Düren nach Unbekannt deportiert.‘

(20.03.2023 kmr)