gegen das Vergessen

Lang, Franziska „Fanny“ und Lazarus „Louis“

Bachstr. 2 (früher Hauptstr. 45)

Die Stolpersteine liegen an der Hauptstraße (Nordseite), östlich der Kreuzung Bachstraße.

Lazarus (genannt Louis) Lang kam am 2. Februar 1893 in Ernsbach (Kreis Öhringen) zur Welt. Er war das erste Kind in der Ehe des jüdischen Händlers Samuel Lang und seiner dritten Frau Regine, geborene Heilbronner. Zusammen mit seinem Bruder Leopold Lang zog er als Soldat für das deutsche Kaiserreich in den ersten Weltkrieg.

Louis und Leopold Lang als deitsche Soldaten (Foto: Familie Lang/StadtarchivSüßen)

Für seine Kriegsteilnahme vom 1.8.1914 bis 20.12.1918 erhielt er folgende Auszeichnungen: das Eiserne Kreuz zweiter Klasse, die silberne Militärverdienstmedaille und die III. Kl. Österreichische Verdienstmedaille für Frontkämpfer.

Eintrag im Eisernen Buch Großsüßen (Foto: Stadtarchiv Süßen)

Viehandel in Süßen

Louis Halbbruder Jacob Lang hatte in Süßen einen gut gehenden Viehhandel aufgebaut und wohnte mit seiner Familie im eigenen Haus Hindenburgstraße 45. Jacob Lang starb 1918 unerwartet. Vom Januar 1919 stammt die Wohnungsanmeldung von Louis Lang in Süßen in der Hindenburgstraße 45 bei seiner Schwägerin, der Witwe Fanny Lang. Am 6.Juli 1920 heiratete Louis Pauline Baer (geb. 15.12.1885) aus Rodalben/Pfalz, die im September 1920 nach Süßen zu ihrem Mann zog. Mithilfe ihrer Mitgift konnte Louis Vieh aufkaufen und zusammen mit seinem Bruder Leopold den Viehhandel des verstorbenen Halbbruders Jacob Lang in Süßen übernehmen.

Vier Kinder kamen zur Welt: Regine Ingeborg (Teddy) am 31.7.1921, Henriette (Henny) am 3.10.1922, Joseph Kurt am 7.7.1924 und Siegfried am 10.7.1925. 1923 kaufte Louis Lang das Haus Heidenheimer Str.31 in Süßen und zog dort ein. 1929 verkaufte er sein Haus in der Heidenheimer Str. 31 wieder und übernahm für 25.000 RM das Haus Hindenburgstraße 45 von seiner Schwägerin Fanny Lang, der Witwe seines Halbbruders Jacob Lang, die mit ihren drei Kindern wieder zurück nach Rexingen zog. Das Anwesen Hindenburgstraße 45 wird im Kaufvertrag folgendermaßen beschrieben: „Wohnhaus mit Hofraum, Scheuer unten am Wohnhaus, Waschhaus hinter dem Wohnhaus, Gemüsegarten vor dem Haus, Baumgarten in der Au, Nutzungsrecht einer Wiese im Kappendobel“. Louis Lang ließ in den folgenden Jahren den Stall für seine Viehhandlung vergrößern und eine Autogarage bauen.

Anwesen Lang in der Hindenburgstraße (später Hauptstraße),
Wohnhaus mit Scheuer, um 1930 (Foto: Stadtarchiv Süßen)

Seine Frau Pauline Lang starb am 22.11.1935 in einer Klinik in Tübingen. Vom 14.12.1935 existiert ein Nachlassverzeichnis von Pauline Lang. In ihrem Besitz befanden sich unter anderem Silberbesteck, drei Fingerringe, eine Brosche, drei Hüte, vier Paar Schuhe, ein Radio, ein Strickkorb, eine Nähmaschine, eine Waschmaschine und ein elektrisches Bügeleisen. Auch ein Auto hat sie gemeinsam mit ihrem Mann besessen. Louis Lang gab vor dem Vormundschaftsgericht Geislingen das gemeinsame bewegliche Vermögen mit ca. 12.500 RM an.

Nürnberger Gesetze und Pogromnacht

Die Verkündung der Nürnberger Gesetze 1935 und eine Vielzahl weiterer NS-Gesetze und Verordnungen beschränkten das alltägliche Leben der Juden in Deutschland zunehmend, fast alle Bereiche des öffentlichen wie des privaten Lebens waren davon betroffen. Ab Juli 1938 hatte Louis Lang Berufsverbot, den Viehhandel musste er am 1. Juli 1938 offiziell einstellen. Nun arbeitete er als Hilfsarbeiter bei der Firma Friedrich Bader in Eislingen, Holzwarenfabrik und Sägewerk.

Sein Sohn Kurt Lang wurde im Oktober 1938 aus der Schule entlassen. Das Oberamt Göppingen entschied, dass „der jüdische Schüler Kurt Lang, der zur Zeit die Klasse 4 der Hohenstaufenoberschule in Göppingen besucht, beabsichtigt, aus dieser auszutreten. Er müsste seiner restlichen Schulpflicht in der Volksschule genüge leisten. Da aber eine Aufnahme in die Deutsche Schule Süßen nicht in Frage kommt und die jüdische Schule in Göppingen kein 8. Schuljahr führt, kann er mit Beginn des Winterhalbjahres vorzeitig aus der Schule entlassen werden.“ Der jüngste Sohn Siegfried besuchte im Jahr 1937 die Göppinger Jüdische Schule zusammen mit seiner Cousine Ruth Lang.

Am 9. November 1938 in der Progromnacht wurde Louis Lang zusammen mit seinem Bruder und einem weiteren Juden aus Süßen verhaftet und im KZ Dachau inhaftiert. Nach Aussage seines Sohnes Kurt wurde er 4 Wochen später freigelassen und kam am 13.12.1938 nach Süßen zurück.

Schon am 25. November 1938 wurde die Gemeinde Süßen in einem streng vertraulichen Schreiben des „Gauamts für Kommunalpolitik“ angewiesen, geeignete Objekte aus jüdischem Besitz zu erwerben. Bürgermeister Saalmüller erstellte daraufhin eine Liste des Grundbesitzes der Familie Lang, die folgendes umfasste: „Nr. 45 ein Wohnhaus mit Hofraum, Nr. 45a ein Stall- und Scheunengebäude, Nr. 45b ein Wohn- und Stallgebäude (Remise) und Nr. 45c eine Autoremise, alles in der Hindenburgstraße (früher Hauptstraße)“. Außerdem gehörten dazu: ein Gemüsegarten beim Haus, ein Gras- und Baumgarten und eine Wiese im Kappendobel. Bis zum 13. Dezember 1938 hatte der Bürgermeister die Genehmigung der meisten Gemeinderäte zum Ankauf eingeholt. Er notierte: „Der Jude Lang, mit dem ich heute in dieser Sache verhandelte, ist grundsätzlich bereit, sein Anwesen um 30.000 Reichsmark an die Gemeinde Süßen zu verkaufen.“ Schon am 15.Dezember wurde vor dem Amtsgericht Geislingen der Kaufvertrag geschlossen.

Die Gemeinde Süßen scheint einen fairen Preis bezahlt zu haben, da der Bürgermeister sich für den „zu hohen Kaufpreis“ rechtfertigen musste. Er begründete die Kaufsumme von 30.000 RM damit, dass noch zahlreiche andere Interessenten das Grundstück erwerben wollten. Auf die Frage des Landratsamts nach dem Zweck des Erwerbs antwortete der Bürgermeister: „Arisierung jüdischer Geschäfte, Entzug des Viehhandelsscheins, Auswanderung nach Amerika“. Noch vom selben Tag, dem 15.Dezember 1938, datiert der Mietvertrag, den die Gemeinde Süßen mit Louis Lang abschloss. Darin mietete Louis Lang im ersten Stock seines verkauften Hauses „5 Zimmer, 1 Küche, 1 Korridor, 1 Bad“ für monatlich 50 RM. Das Verkaufsgeschäft musste noch vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden.

Am 27. Januar 1939 stellte Louis Lang seine Situation so dar: „…, dass ich 1. außer dem Ertrag (des Verkaufs) keinerlei verfügbares Vermögen habe, 2. dass ich am 2. Februar die 2. Rate der Judenabgabe zu zahlen habe, 3. dass ich gegenüber meinem Bruder und früheren Teilhaber Leopold Lang eine größere Verbindlichkeit abzudecken habe und 4. dass ich für meinen Lebensunterhalt im Monat Februar keinerlei Mittel zur Verfügung habe.“ Er bat den Bürgermeister, sich für eine rasche Genehmigung einzusetzen, die allerdings erst am 4. März schriftlich erfolgte. Da beim Finanzamt Geislingen eine Pfändungsverfügung gegen Louis Lang vorlag, durfte das Geld nicht ausgezahlt werden; der Betrag wurde auf ein Sperrkonto gelegt, über das Louis Lang nicht frei verfügen konnte. Louis Lang musste neben der Einkommenssteuer für die Jahre 1937 – 1938 auch noch eine Judenvermögensabgabe entrichten. Insgesamt knapp 6.700 RM zog das Finanzamt ein.

Ausreise

Den Töchtern Regine und Henriette gelang am 17. Februar 1939 die Ausreise nach New York. Ende 1939 schickten Louis Lang und sein Bruder Leopold zwei große Umzugskisten (Gesamtgewicht 572 kg) Richtung New York los, die aber in Rotterdam beschlagnahmt und in Stuttgart unter Verschluss gehalten wurden, bis sie 1942 von der Gestapo zur Versteigerung freigegeben wurden. Im Juni 1939 wusste Louis Lang, dass er und sein Bruder mit ihren Familien noch nicht ausreisen durften. Er bat um Verlängerung des Mietvertrags. Außerdem verpfändete er bei der städtischen Pfandleihanstalt Stuttgart eine Herrenuhr, eine Kette und drei Ringe.

Fanny Lang

Am 24. Februar 1941 heiratete Louis Lang Fanny Landau aus München. Franziska (genannt Fanny) Landau wurde als drittes von neun Kindern des Ehepaares Elisabeth und Leopold Landau am 21.4.1894 in Frankfurt am Main geboren. Der Vater Leopold, geb. 21.1.1863 in Springen, war Handelsmann, die Mutter Elisabeth, geb. 26.7.1861 in Eppstein als Elisabeth Löb, Hausfrau. Das Paar hatte insgesamt 11 Kinder, die alle in Frankfurt geboren wurden. Zwei Kinder starben kurz nach der Geburt. Fannys ältester Bruder Bernhard kämpfte im Ersten Weltkrieg als Soldat für Deutschland und fiel am 2.7.1915.

Die Familie Landau zog 1917 von Frankfurt nach München in die Müllerstraße 3. Drei Jahre später starb dort der Vater. Fannys sechs Jahre jüngerer Bruder Friedrich Isidor war als „Besitzer eines Reisetonfilmunternehmens“ vermerkt. Vielleicht hat er durch seine Geschäftstätigkeit die Mutter und Geschwister unterstützt, da er bis zum Tod der Mutter Elisabeth am 24.3.1933 in der Müllerstraße 3 wohnen blieb. Friedrich Isidor starb am 5.8.1937 in München.

Fannys jüngere Schwester Sally emigrierte 1933 über Amsterdam nach Südamerika; ihr jüngerer Bruder Arthur wanderte 1939 nach Shanghai aus. Die beiden jüngeren Schwestern Clara und Susanna emigrierten 1938 in die USA. Über das Schicksal der Schwester Elsa ist nichts bekannt. Fannys ältere Schwester Rosa wurde zusammen mit ihrem Mann Wilhelm Adler 1942 von München ins KZ Theresienstadt deportiert; Wilhelm Adler starb dort noch im selben Jahr. Rosa Adler kam am 1944 ins Vernichtungslager Ausschwitz und wurde dort ermordet.

Fanny Lang meldete am 1.10.1936 ein Gewerbe für Schreibarbeiten als Privatlektorin an, welches sie am 1.12.1938 wieder abmeldete. Zu diesem Zeitpunkt befand sie sich wahrscheinlich alleine in München; wovon hat sie gelebt? Immer wieder zog sie in dieser Zeit innerhalb Münchens um. Erst zweieinhalb Jahre später heiratete sie Louis Lang in Süßen und fand hier für kurze Zeit Zuflucht.

Deportation

Fanny und Louis wurden zusammen mit seinen Söhnen Kurt und Siegfried am 28.11.1941 in Süßen verhaftet und ins Lager Killesberg nach Stuttgart gebracht. Von dort aus wurden sie am 1. Dezember nach Riga, KZ Lager Jungfernhof, deportiert, wo Fanny bei der Mordaktion im Wald von Bikernieki am 26.März 1942 erschossen wurde. Louis wurde zunächst verschont; er kam ins Ghetto von Riga, wo er Zwangsarbeit leisten musste.

Nach Erzählung der Nichte Ruth Lang starb ihr Onkel Louis Lang im Frühjahr 1943 in einem Lager bei Riga (wahrscheinlich Riga-Kaiserwald) an Magenkrebs. Die Söhne Kurt und Siegfried Lang, die langjährige KZ-Inhaftierungen überlebt hatten, kehrten 1945 für kurze Zeit nach Süßen zurück und wanderten ein Jahr später nach Amerika aus.

Nach Kriegsende musste im Rahmen der Wiedergutmachung nach Abschluss eines Verfahrens beim Court of Restitution Appeals in Nürnberg das Gebäude Hauptstraße 45 von der Gemeinde Süßen noch einmal erworben werden.

Aufarbeitung der Schicksale

In den 1980er Jahren setzte sich der Süßener Bürgermeister Martin Bauch für die Aufarbeitung und Erinnerung an die Geschichte der ehemaligen jüdischen Mitbürger ein. In Süßen wurde der „Familie-Lang-Weg“ neu benannt. Auch der 1981 errichtete Marktbrunnen des Künstlers Emil Jo Homolka erinnert mit einer Szene an die Vertreibung der jüdischen Familien aus Süßen.

Marktbrunnen Süßen

Auf Einladung der Gemeinde besuchte 1989 die Familie von Hugo Lang Süßen. 1991 beschloss der Gemeinderat, auf dem Friedhof Stiegelwiesen einen Gedenkstein erstellen zu lassen. Dieser Gedenkstein trägt unter einem siebenarmigen Leuchter die Namen der Ermordeten. Er wurde noch im selben Jahr im Beisein von Hugo und Inge Lang enthüllt.

Gedenkstein Friedhof Stiegelwiesen Süßen (Foto: Stadtarchiv Süßen)

Im Februar 2008 setzte Gunther Demnig die Stolpersteine für Fanny und Louis Lang vor dem früheren Haus Hauptstraße 45.

Heute:  Bachstr. 2  – Erweiterungsbau der Firma Nägele – ursprünglich Hauptstr. 45

(14.07.2021 ce)


1 Kommentar

  1. Meagan Kristine Bazner

    my great aunt is Fanny landau,…. my great grandpa is Friedrich Isidor landau and my grandma was Ingeborg {inga} landau.,… thank you for keeping the memory alive and accessable… if there’s anything else you know about my family….let me know please

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