Richard-Wagner-Str. 26
Das Schicksal einer jüdischen Familie in Eislingen
Von Auschwitz über Wien und Haifa in die Richard-Wagner-Straße
In der Richard-Wagner-Straße vor dem Haus 26 wurden am 10. April 2007 vom Künstler Gunter Demnig vier ‚Stolpersteine‘ verlegt, zur Erinnerung an vier Menschen, die zehn Jahre in Eislingen gelebt hatten: Dr. Bernhard und Mina Plawner sowie ihre Töchter Pnina und Rachel-Dina.
Die Familie lebte von 1928 an im damaligen Großeislingen, das ab September 1933 Teil der neu gegründeten Stadt Eislingen/Fils geworden war.
Herkunft und Ausbildung
Wie kamen die Plawners nach Eislingen? Bernhard Plawner wurde im Januar 1898 im damals österreichischen Landstädtchen Auschwitz geboren, das die mehrheitlich jüdische Bevölkerung ‚Ospitzim‘ nannte. Er studierte vor dem 1.Weltkrieg zusammen mit seinem Bruder Oskar in Wien. Sein Studienfach war die Chemie, darin schloss er sein Studium an der Technischen Hochschule mit dem Titel eines Dr. Ing. ab. Bernhard heiratete die wenige Monate ältere Mina (Minna) Gruber, die wie er aus Auschwitz / Oswiecim stammte. Minas Eltern betrieben im Zentrum dieser Stadt, in der Ulica Koscielna 12, neben der katholischen Kirche ein Restaurant. Für Mina scheint es aber keine Perspektive gewesen zu sein, im elterlichen Betrieb mitzuwirken: Sie absolvierte eine Ausbildung als Erzieherin nach dem Montessori – Prinzip. Wie für viele osteuropäische Jüdinnen und Juden schien der Zionismus auch für das junge Ehepaar Plawner eine Lebensperspektive gewesen zu sein. Sie wanderten in den 1920er Jahren ins britische Mandatsgebiet Palästina aus und versuchten in der Stadt Haifa Fuß zu fassen. Das Land, das sie aufzubauen halfen, war hart zu den Neuankömmlingen, Krankheiten wie Malaria bedrohten die Einwanderer, das Leben blieb trotz aller Anstrengungen für die meisten sehr ärmlich. Es gelang dem Ehepaar auf Dauer nicht, sich wirtschaftlich zu etablieren. Noch in Palästina, in Haifa wurde ihr erstes Kind geboren: Am 7. März 1926 kam die Tochter Pnina zur Welt. Die junge Familie beschloss aber bald, nach Europa zurück zu kehren und Dr. Plawner fand eine interessante und wahrscheinlich gut dotierte Stelle in der Eislinger Papierfabrik Fleischer. Das Ursprungsunternehmen hatte der jüdische Göppinger Unternehmer Moriz Fleischer im Jahr 1892 erworben und zu einem Erfolgsmodell gemacht, seine Söhne folgten ihm mit gleichem Ergebnissen.
Eine gute Zeit in Eislingen
Ab 1928 war Dr. Bernhard Plawner Abteilungsleiter in der Papierfabrik Fleischer, im Westen von Großeislingen gelegen, dem Gasthaus Waldhorn gegenüber und wohnte mit seiner Familie in der Richard-Wagner-Straße 26/1, schräg gegenüber vom Katholischen Gemeindehaus. In seiner Firma war er kreativ tätig, so entwickelte er zum Beispiel ein spezielles Papier zur besseren Haltbarkeit von Äpfeln.
An das ‚Privatleben‘ der Familie konnten sich ZeitzeugInnen noch erinnern: Pnina hatte enge Freundinnen in Eislingen, wie Frau Reichel, geborene Göbel, erzählte. Sie besuchte mit Pnina den katholischen Kindergarten in der Königstraße, die Freundinnen spielten auf der Richard-Wagner-Straße, später dann zuhause bei Pnina bis der ‚Schutzmann‘ dem Vater Göbel eine Geldbuße von 50,- RM abnahm, wegen verbotener „Kontakte mit Juden“. Vorher war das Plawnersche Haus ein freundlicher Ort für die Schulkameraden und Freundinnen gewesen. „Da gab es immer Süßigkeiten“, berichtete Andreas Köder. Im Juni 1934 bekam Pnina ein Schwesterchen: In einem Stuttgarter Krankenhaus kam Rachel-Dina zu Welt. Dies dürfte das letzte erfreuliche Ereignis in der Familie gewesen sein, die inzwischen unter der Nazi – Herrschaft lebte. So musste Pnina Plawner die öffentliche Schule in Eislingen verlassen, sie besuchte dann die Jüdische Elementarschule in Göppingen, die Ende 1936 gegründet wurde.
Die Ausweisung nach Polen
Am 28. Oktober 1938 wurde Dr. Bernhard Plawner in seiner Wohnung verhaftet und nach Polen abgeschoben. Er war einer von etwa 18.000 Jüdinnen und Juden, die in Deutschland lebten, aber formell noch polnische StaatsbürgerInnen waren. Mina Plawner und ihre Töchter scheinen zum Zeitpunkt der Verhaftung des Familienvaters nicht in der Eislinger Wohnung gewesen sein, denn sie konnten sich der Abschiebung zunächst entziehen und versteckten sich bei der befreundeten Familie Schiffmann in der Göppinger Hauptstr. 11, wo sie nach wenigen Wochen aber entdeckt und ebenfalls abgeschoben wurden.
Die Spur der Plawners verliert sich in Polen. Nachdem Bernhard nach dem Einmarsch der Deutschen im Jahr 1939 und der Teilung Polens die Flucht in den sowjetisch besetzten Bereich gelang, bat ihn sein Frau, ins deutsch besetzte Polen zurück zu kommen, „die Deutschen sind doch nicht so schlimm“. Die Familie lebte in der südpolnischen Stadt Jaslo, die auf eine Jahrhunderte währende jüdische Geschichte zurück blicken konnte. Dr. Plawner fand dort Arbeit und konnte seine Familie ernähren.
Ghetto Jaslo
Jaslo war schon am 8. September 1939 von den Nazi-deutschen Truppen besetzt worden, lag in dem als ‚Generalgouvernement‘ bezeichneten Teil Polens und sollte zu einer ‚deutschen‘ Stadt werden. Schon vom Zeitpunkt der Besetzung an wurde die jüdische Einwohnerschaft terrorisiert, die Familie Plawner hatte anscheinend in dieser Situation noch Glück. Wahrscheinlich zu dieser Zeit versuchten sie aber auch, eine Einreisegenehmigung nach Palästina zu erlangen, dem Land mit dem sie seit den 1920er Jahren verbunden waren. Leider scheiterte der Versuch an der strikten Reglementierung der Zuwanderung durch die britische Mandatsmacht. Für Jüdinnen und Juden galt eine Altersobergrenze von 35 Jahren, Mina und Bernhard waren leider ein Jahr zu alt.
Ende 1941 / Anfang 1942 wurden aber alle jüdischen EinwohnerInnen Jaslos – hinzu kamen JüdInnen aus anderen Gemeinden – gezwungen, in das aus wenigen Straßenzügen bestehende, neu eingerichtete Ghetto zu ziehen, das mit Stacheldraht eingezäunt war. Dieses Schicksal traf auch die Familie Plawner. Es ist anzunehmen, das alle Familienmitglieder Zwangsarbeit leisten mussten. Die 16jährige Pnina arbeitete z.B.in einem Putzkommando und auch außerhalb des Ghettos. Doch die Familie Plawner hatte zunächst einen unerwarteten ‚Schutzherren‘: Ludwig Romeis. In der Familienerinnerung wird er als ‚Schultheiß = Bürgermeister von Jaslo bezeichnet, eine Bestätigung aus anderen Quellen liegt uns noch nicht vor. Wie auch immer, Romeis war ein Teil der mörderischen NS – Verwaltung und stand in Verbindung mit dem NS- Landrat Walter Gantz, einem Mörder, der auch nach dem Krieg nie zur Verantwortung gezogen wurde. Aber Ludwig Romeis, die Willkür der ‚Herrenmenschen‘ war beliebig, hielt zunächst seine Hand über die Familie Plawner. Er gab Pnina zu essen und verhalf ihr zur Flucht, als klar wurde, dass im August 1942 das Ghetto geräumt werden sollte. Pnina, die sich mit einem Freund zusammen als Ehepaar ausgab, konnte zunächst in Kielce, dann in Warschau mit falschen Papieren leben. Im Frühjahr 1943 fiel in einer Warteschlange für Brot ihr schlechtes Polnisch einem Volksdeutschen auf, der sie denunzierte. Noch am selben Tag wurden Pnina und ihr Freund erschossen. Die blonde und blauäugige Rachel wäre von Romeis in seine Familie aufgenommen und als eigene Tochter ausgegeben worden, das acht- oder neun-jährige Kind wollte aber bei seiner Mutter bleiben. Das weitere Schicksal von Mina, Rachel-Dina und Bernhard Plawner ist nicht geklärt. Seit Sommer 1942 wurden laufend JüdInnen und Juden aus dem Jasloer Ghetto erschossen, wer diese Terrorakte überlebte, wurde am 19. / 20 August 1942 ins Vernichtungslager Belzec deportiert und dort ermordet.
Nach dem Krieg wurde die Familie‚für tot‘ erklärt. Bernhards Bruder Oskar Plawner überlebte die Shoah, Nachkommen von ihm leben in Stuttgart. Wir danken ihnen für Familien-Erinnerungen und Fotos.
(05.05.2020 pr/kmr)
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