Grabenstr. 20
Pauline Guggenheim, geb. Hammel wuchs in Straßburg, wo sie 1887 geboren wurde, in einem großbürgerlichen Elternhaus auf. Ab 1919 gehörte das Elsass zu Frankreich, Pauline und ihre Mutter bekannten sich als Deutsche und entschieden sich, dieses Gebiet zu verlassen. Ein Jahr später heiratete Pauline den Witwer Julius Guggenheim, der seine zwei Söhne Emil und Leopold (Poldi) mit in die Ehe brachte. 1921 wurde ihre gemeinsame Tochter Lieselotte (Lilo) geboren.
Das Ehepaar bezog mit seinen drei Kindern das Haus in der Grabenstraße 20 und wohnte in der obersten Etage. Im Erdgeschoss und im ersten Stock eröffneten Pauline und Julius Guggenheim ein Textilgeschäft, das sie gemeinsam betrieben. Sie ergänzten sich ideal: Sie, die Gebildete und Elegante, er, der Rechtschaffene und Realist. Gemeinsam berieten sie über das Warenangebot, über die optimale Bedienung der Kunden und beide förderten das Betriebsklima, in dem sich die Angestellten anerkannt fühlten und sozial unterstützt wurden. Dieses Engagement und ihr Konzept trugen bald Früchte. Wirtschaftlich solvent konnten sie am 11. April 1930 eine Filiale der Wohlwert-Kaufhäuser in Göppingen eröffnen. Das neue, aus Amerika übernommene System der Selbstbedienung begeisterte die Kunden und bescherte der Familie Ansehen und Wohlstand – bis 1933, dem Jahr der Machtübertragung an die Nazis.
Die Guggenheims litten unter den Ausgrenzungen und Sanktionen in Göppingen, der Stadt, in der sie sich so heimisch gefühlt hatten. Die Familie beschloss im April 1937 nach Stuttgart umzusiedeln, hier erhofften sie sich mehr Anonymität. Im August 1939 gelang es dem Ehepaar Guggenheim ihre Tochter Lilo als letzte der drei Kinder ins Ausland zu schicken, um sie vor den Nazis zu schützen. Ihr wollten sie baldmöglichst nach England folgen. Der Kriegsausbruch, die Schließung der Grenzen setzten ihren Hoffnungen eine Ende. Die Container mit ihrem Hab und Gut lagen beim Zoll in Bremen und an der Grenze zur Schweiz. Da wurde Julius Guggenheim angeklagt, verbotene Wertgegenstände in den Kisten verpackt zu haben. Er wurde inhaftiert, seine Frau unter Druck gesetzt. Die Kinder im unerreichbaren Ausland, der Ehemann im Gefängnis, von den nationalsozialistischen Schergen bedroht – Pauline Guggenheim sah in dieser Situation nur mehr einen Ausweg, die Flucht in den Suizid. In der Nacht vom 6. auf den 7. Dezember 1939 drehte sie den Gashahn auf und setzte ihrem Leben ein Ende.
Die Tochter Lilo Guggenheim-Levine, die mit ihrer Familie in Amerika gelebt hat, wünschte sich den Stolperstein für ihre Mutter vor dem Haus in der Grabenstraße 20, da dort die Familie solch glückliche Tage verlebt hatte. Gunter Demnig setzte den Stein zum Andenken an Pauline Guggenheim am 1. Mai 2010.
Weitere Opfer aus der nahen Verwandtschaft Paulines sind: Von Seiten ihrer Mutter die Cousins Bernhard, Julius und Arthur Fleischer sowie die Cousinen Rosa Fleischer und Emilie Goldstein. Ermordet wurde auch Martha Albert, geb. Hammel eine Cousine väterlicherseits.
Lilo Guggenheim-Levine, die der Göppinger Stolpersteininitiative äußerst viel geholfen hat und eine gute Freundin war, starb 94-jährig im Juni 2015.
Weitere Informationen zu Pauline Guggenheim kann man der Broschüre ‚Lebenswege jüdischer Frauen’ entnehmen, die von Claudia Liebenau – Meyer verfasst wurde.
(22.12.2016 clm)
Vielen Dank für den hochinformativen Artikel. Dürfte ich das Familienfoto in meinem Buch über das jüdische Leben in Bad Kissingen, in dem ich mich in einem Kapitel mit der Geschichte der weitverzweigten Familie Goldstein beschäftige, verwenden? Mein Buch ist online auf der Webseite der Stadt Bad Kissingen veröffentlicht und verfolgt keine kommerziellen Ziele.