Geboren am 23.11.1884 in Kassel
Deportiert ab Stuttgart am 1. Dezember 1941 nach Riga/Lager Jungfernhof
Interniert in Weißenstein im November 1941
„Erna Bellson lässt sich leider nicht nachweisen. Die Einwohnermeldeunterlagen fehlen und in den Adressbüchern ist sie nicht verzeichnet. Das wäre aber durchaus zu erwarten, wenn sie als Ledige berufstätig war und länger hier gelebt hat.“
Diese Nachricht aus dem Karlsruher Archiv gibt exemplarisch wieder, wie schwierig es ist, mehr über Erna Bellsons wechselhaftes Leben zu erfahren. Als sie im Jahr 1884 in Kassel geboren wurde, hatte sie schon vier ältere Schwestern, zwei weitere Geschwister sollten noch folgen. Ihre Eltern, Ordeline Bellson, geb. Rogosinki und Adolph Bellson hatten 1878 in Adolphs Heimatstadt Kassel ein Fotostudio eröffnet. Das professionelle Fotografieren und der Name Bellson dürfte in Kassel aber schon länger zusammen gedacht worden sein. Schon im Kasseler Adressbuch von 1851 findet man Louis Bellson ‚Lackierer und Daguerreotypist‘ – die Daguerreotypie gilt als Vorläufer der Fotografie. Das Jahr 1851 deutet an, dass die Familie Bellson zu den Pionieren in dieser neuen Kunst zählte. Auch wenn die professionell betriebene Fotografie also zur ‚Familientradition‘ gehörte, dürfte es ungewöhnlich gewesen sein, dass sich eine junge Frau in diesem Beruf ausbilden ließ. Die Lehre, wahrscheinlich im elterlichen Studio, beendete sie als 16-jährige im Jahr 1900. Erna blieb ledig und vermutlich verdiente sie sich später als Fotografin den Lebensunterhalt.
Ernas Wanderjahre
Es folgten ‚Wanderjahre‘: Schon 1903, Erna ist 19 und nach damaligem Recht noch minderjährig, findet sich ein Hinweis auf Aufenthalte in Weeze und Hannover, 1906 begibt sie sich nach Coburg, Bottrop, Magdeburg und Mannheim, 1908 nach Darmstadt und Pforzheim, 1909 weilt sie in Berlin.
Die Hinweise sind freilich so vage, dass daraus nicht geschlossen werden kann, dass sie an diesen Orten auch berufstätig war.
Nach dem 1. Weltkrieg bewegt sich Erna Bellson nur noch im süddeutschen Raum und bei manchen Stationen lässt sich belegen, wann sie für welchen niedergelassenen Fotografen gearbeitet hat. Ab Oktober 1919 ist sie in Karlsruhe, ab September 1925 im Kurort Wildbad, wo sie vermutlich für das Foto – Atelier Blumenthal tätig war. In Reutlingen arbeitet sie beim Fotografen Karl Schmalz und 1926 zieht sie weiter nach Pforzheim, wo sie beim jüdischen Berufskollegen Max Rödelsheimer beschäftigt ist und auch in seinem Haus wohnt. Ob Max ihr von seinem in Göppingen lebenden Bruder Heinrich erzählt, ihr Fotos von seinen 1928 und 1930 geborenen Nichten gezeigt hat?
Eine Bleibe in Stuttgart?
Ab 1933 lebt Erna Bellson in Stuttgart und arbeitet als ‚Gehilfin‘ im ‚Fotohaus Otto Markmann‘ in der Rotebühlstraße. Wie lange konnte sie unter der Nazi – Herrschaft noch in ihrem Beruf arbeiten?
Eigenartigerweise erscheint ihr Name erst in der Ausgabe 1940 des Stuttgarter Adressbuchs, damals wohnte sie in der Ernst-Weinsteinstr. 33. Die Adresse Rosenbergstr. 105 im Adressbuch von 1941 deutet darauf hin, dass Erna Bellson gezwungen wurde, in ein ‚Judenhaus‘ umzuziehen.
Als sie am 1. November 1941 ins Zwangswohnheim Schloss Weißenstein verlegt wurde, kamen sieben Mitbewohnerinnen aus der Rosenbergstr. 105 mit ihr. Nur knapp einen Monat hatte Erna Zeit, sich in der neuen, beengten und winterkalten Unterkunft einzufinden, schon Ende November musste sie mit 16 weiteren Schloss – Insassen Weißenstein wieder verlassen. Über das Zwischenlager auf dem Stuttgarter Killesberg wurde sie zusammen mit etwa 1000 Jüdinnen und Juden im ungeheizten Zug nach Riga im deutsch besetzten Lettland deportiert.
Im Lager ‚Jungfernhof‘, einem herunter gekommenen Gutshof herrschen im Winter 1941 / 42 eisige Temperaturen, ob Erna Bellson diese Monate überlebt hat, konnte nicht geklärt werden. Spätestens am 26. März 1942 dürfte ihr Leben geendet haben: ermordet von deutschen oder lettischen Schießkommandos im Waldstück ‚Bikernieki‘.
Zum Schicksal von Ernas Geschwistern
Zurück zu Ernas kurzem Aufenthalt im Schloss Weißenstein: Etwa 10 km Kilometer entfernt in der Stadt Geislingen a.d. Steige war Ernas älteste Schwester Marianne mit Willi Burger verheiratet, einem Katholiken, mit dem sie zwei Kinder hatte.
Erhielt Erna von ihrer Schwester Besuch und Unterstützung? Die Klavierlehrerin Marianne Burger überstand die Nazi-Zeit in ‚Privilegierter Mischehe‘; nach Kriegsende wanderte sie, inzwischen verwitwet, in die Schweiz / Zürich aus, wohin schon 1936 ihr Sohn Willi Phillip geflüchtet war.
Ernas ältere Schwester Franziska, die mit Nuchim Korn in zweiter Ehe in Stuttgart lebte, wurde mit ihrem Mann in Riga / Jungfernhof ermordet.
Jenny Voss, geborene Bellson, die 1888 als jüngste der Geschwister zur Welt gekommen war, wurde von ihrem Wohnort Hamburg aus 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert, 1944 weiter ins Vernichtungslager Auschwitz.
Ernas einziger Bruder, der 1886 geborenen Isidor Max Bellson, war als deutscher Soldat im Ersten Weltkrieg gestorben.
Die Familie Bellson: Eine ‚Dynastie‘ von Fotografen und Fotografinnen – und es liegen keine Fotos von den Familienangehörigen vor. Und somit auch keines von Erna Bellson, dieser unkonventionellen, selbstständigen Frau, deren Leben durch rassistisch motivierten Mord endete.
(29.08.2023 kmr)