Grabenstraße 18
Die Schläge des ‚Eisenhammers‘
Was bewog eine Pfälzer jüdische Familie in der Nazi -Zeit nach Göppingen zu ziehen? Die Franks wohnten ursprünglich in der kleinen Gemeinde Rodalben bei Pirmasens. Bis ins Jahr 1933 hielt sich dort die katholisch geprägte Bevölkerung weitgehend von den Nazis fern, ganz im Unterschied zu den evangelischen Gebieten der Pfalz, wo die NSDAP ab den 1920er Jahren überdurchschnittlich viel Zuspruch erhielt. Nach 1933 glich sich die Situation in schlechter Weise an. Erschien Göppingen da als das kleinere Übel?
Ein Blick zurück nach Rodalben, wo Heinrich Frank, Vater von Rosa und Ehemann der Flora im Jahr 1878 geboren wurde:
Die Familie Frank gehört zum weitverzweigten Stamm Loeb, deren ‚Stammsitz‘ das Loebsche Haus in Landau / Pfalz war. Eine (sehr!) weitläufige Verwandte von Heinrich ist übrigens Anne Frank, die Verfasserin des berühmten Tagebuchs.
Etwa 1919 heiraten Heinrich Frank und Lina Mayer, im nächsten Jahr konnte sich das Ehepaar über die Tochter Rosa freuen ( geb. am 27.9.1920 ) und ein Jahr später kam ihre Schwester Marianne auf die Welt. Die beiden hübschen Kinder sind auf einem Foto zu sehen, das während des jüdischen Purim -Fests aufgenommen worden ist. Ein schmerzlicher Einschnitt wird der Tod von Lina Frank gewesen sein, die 1930 mit 34 Jahren starb. Als Witwer mit zwei Kindern suchte Heinrich Frank erfolgreich nach einer Ehefrau und heiratete 1931 Flora Kahn (geb. 8.11.1894). Sie stammte aus Rhaunen bei Bernkastel und war das siebte von dreizehn Kindern des jüdischen Ehepaars Henriette und Isaac Kahn. Das winzige Wohnhaus der Familie Kahn lässt auf sehr bescheiden Verhältnisse schließen. Von Floras Geschwistern starben vier im Kindesalter, ein Bruder fiel im Ersten Weltkrieg, fünf wanderten in die USA oder nach Belgien aus.
Heinrich Frank war Kaufmann von Beruf und betrieb in Rodalben eine kleine Firma, ein Familienunternehmen, das die umliegenden Schuhfabriken mit Rahmen belieferte. Finanziell dürfte das Unternehmen nicht immer erfolgreich gewesen sein, denn 1926 musste Herr Frank Konkurs anmelden. Am guten Willen kann der Misserfolg kaum gelegen haben. Ein Zeitzeuge erinnerte sich, dass Herr Frank ein „ganz stiller Mann gewesen sei, der Tag und Nacht gearbeitet habe“. Der Konkurs war übrigens Anlass zu einer unverhohlen judenfeindlichen Agitation gegen Heinrich Frank, die im ‚Eisenhammer‘ veröffentlicht wurde, einem regionalem Nazi – Hetzblatt, vergleichbar dem württembergischen ‚Flammenzeichen‘. Dahinter steckte der Rodalber Lehrer Josef Bürckel, der 1926 NS-Gauleiter der Pfalz wurde und später an vielen Nazi – Verbrechen beteiligt war.
Heinrich Frank dürfte in seiner Heimat ein anerkannter Bürger gewesen sein, denn seit 1932 gehörte er dem Vorstand der jüdischen Gemeinde Rodalbens an. Auch seine Tochter Rosa engagierte sich, und zwar in der Jugendgruppe der Zionistischen Vereinigung in Pirmasens. Diese lud Ende 1936 zur ‚Großen Makkabäer – Feier’ ein, und ‚Rosel‘ Frank war unter den Mitwirkenden.
Vom Unheil der Nazi -Zeit wurde die Familie spätestens in der Pogromnacht vom 9./10.November 1938 eingeholt, als Heinrich Frank verhaftet und ins Gefängnis von Neustadt / Pfalz eingeliefert wurde. Eine spätere Deportation in ein KZ ist aber nicht dokumentiert und für das KZ Dachau jedenfalls ausgeschlossen. Im Dezember 1938 zog die Familie, von Marianne abgesehen, die schon in Göppingen lebte, nach Pirmasens. Die Gründe ließen sich nicht endgültig benennen, der Judenhass im kleinstädtischen Milieu von Rodalben dürfte aber eine Rolle gespielt haben sowie die Hoffnung, in der Anonymität einer größeren Stadt untertauchen zu können. Zu Beginn des 2. Weltkriegs wurde das nahe der französischen Grenze gelegene Pirmasens zur „Roten Zone“ erklärt und von der Zivilbevölkerung geräumt, vielleicht war das der Anlass für den neuerlichen Umzug der Franks nach Göppingen. Zurück nach Rodalben dürfte die Familie nicht gewollt haben, außerdem wurden leer stehende Wohnungen dort den ‚Westwall‘ – Arbeitern zur Verfügung gestellt. Rosa Frank, von Beruf kaufmännische Angestellte, hatte noch vergeblich versucht, nach Holland auszureisen.
Heinrichs Tod in Göppingen
In Göppingen sind mehrere Wohnadressen der Familienmitglieder bekannt. Marianne, die schon im November 1938 zugezogen war, wohnte zunächst bei Dörzbacher in der Geislinger Straße 8, sie arbeitete als Hausmädchen. Ersetzte sie eine ‚arische’ Hausangestellte, die nicht länger bei einer jüdischen Familie bleiben durfte? Im Mai und August 1939 trafen weitere Familienmitglieder sowie die verwandte Familie Katz in Göppingen ein: Außer Mariannes Eltern Heinrich und Flora und der Schwester Rosa zog auch Heinrichs Bruder Sally Frank in unserer Stadt, sie kamen zunächst in der Grabenstraße 18 bei der Familie Oppenheimer unter.
Sally Frank, der als einziger die Nazi -Zeit überleben sollte, kehrte schon nach einem Jahr nach Pirmasens zurück, wo er mit einer nichtjüdischen Frau verheiratet war, deren Familie ihn vor den Häschern versteckte. Er starb 1958 kinderlos in Pirmasens. Marianne Frank fand in Göppingen übrigens einen Lebenspartner, im November 1940 heiratete sie Max Schwab und im März des nächsten Jahrs kam die Tochter Hannacha auf die Welt. (Siehe Stolperstein-Biografie zur Familie Schwab). Heinrich Frank hat seine Großvaterschaft nicht mehr erleben können, er starb Ende Dezember 1940. Als Todesursachen wurden genannt: Herz- und Lungenasthma, Bronchitis, Lungenentzündung, Herz- und Kreislaufschwäche. Ein Grabstein auf dem Göppinger Friedhof erinnert an ihn.
Herumgeschoben, deportiert
Nach Heinrichs Tod mussten Flora und Rosa Frank abermals die Wohnung wechseln: Wilhelm-Murr-Straße 30 (heute Mörikestraße 30) hieß ihre letzte Adresse in Göppingen, wo sie aber nur wenige Monate wohnen konnten. Das Haus, das früher der jüdischen Familie Veit gehört hatte, diente zu dieser Zeit der Stadt als ‚Judenhaus‘. Ein vager Hinweis, dass die Familie Frank im Jahr 1941 noch einen Ortswechsel versucht haben könnte, findet sich in einem Brief Hedwig Frankfurters vom 3. September des Jahrs, in dem die verarmten Juden Göppingens aufgezählt werden: „ (… ), Familie Frank, die völlig mittellos rückwandern mußten, ( … )“
‚Abgemeldet ins Reichskommissariat Osten, Riga, 28.11.1941‘ lautet das Todesurteil für Flora und Rosa Frank. Hedwig Frankfurter, deren Briefwechsel viele Einblicke in die Lebensschicksale der jüdischen Göppinger gibt, schreibt am 26.11.1941 an ihren Sohn Richard: „Wir leben in einer traurigen Zeit. Morgen werden uns viel gute Freunde & Bekannte verlassen, z.B. Oberdorfers, Banemanns, Jul. Fleischer, unseres früheres Mädchen Rosel & Mutter etz.“
Dieser Satz legt nahe, dass Rosa Frank bei der Familie Frankfurter als Hausmädchen gearbeitet haben muss.
Mit auf dem Transport war der damals 14-jährige Richard Fleischer aus Göppingen. Er, der die KZ – Tortur wundersam überlebt hat, erinnerte sich in einem Brief an Peter Conrad (s.u.): „Flora und Rosa Frank befanden sich in gleichen Zug nach Riga. Das Lager namens ‚Jungfernhof‘ war 10 km von Riga entfernt. Ursprünglich war es das Anwesen eines lettischen Barons. Wir wurden in ein Gebäude gebracht, das eigentlich für den Fuhrpark etc. des Hofs gedacht war. Keine Heizung. Minus 40 Grad Celsius. Ich habe die beiden Frauen ein – oder zweimal gesehen, dann waren sie fort. Ich denke, ungefähr zur gleichen Zeit wie meine liebe Mutter.“
Ermordet in Stutthof
Tatsächlich überlebten Flora und Rosa Frank das Lager Jungfernhof, das im Herbst 1943 aufgelöst wurde. Gertrud Schneider, eine Mitgefangene schreibt in ihrem Buch ‚Reise nach Riga‘: „Die Menschen, die aus einem verwahrlosten Barackenlager einen musterhaften Bauernhof gemacht hatten, wurden mit Ausnahme von 50 Handwerkern, entweder über das Ghetto (Riga – kmr) oder auch direkt in das KZ Kaiserwald geschickt.“
Flora und Rosa hatten die Kraft und das Glück, auch dieses KZ zu überleben. Vor der anrückenden Roten Armee wurden die Häftlinge in Booten über die Ostsee ins Lager Stutthof bei Danzig gebracht. Über die Fahrt berichtet ein Mithäftling: „ Die Fahrt im Kahn glich einem Alptraum. Zusammengepfercht, seekrank, fast wahnsinnig vor Durst, verbrachten wir die lange, windige und verregnete Nacht. Wir kamen in dem kleinen Ort Stutthof an. Wie uns die Reise über die Ostsee und diese Nacht im Kahn verändert hatte! Wie grässlich wir rochen! Wie schmutzig wir aussahen! Wie unmöglich, verglichen mit den sauberen Bewohnern der Stadt! Und wie verächtlich und angeekelt sie uns ansahen! ( … ) Im Lager empfing man uns mit furchtbaren Schlägen und man drohte uns, in die Gaskammer geschickt zu werden.“
Am 1.10.1944 registrierte die Nazi – Lagerverwaltung, dass Flora und Rosa Frank im Lager eingetroffen waren. Es sollte das letzte Lebenszeichen der beiden Frauen bleiben.
Weitere Familienmitglieder wurden ermordet: Flora Franks Schwester Regina Schlamm mit ihrem Mann Willi, ebenso ihre Schwester Erna Levy, ihr Mann Karl und die Söhne Leopold und Günther (Name nicht ganz sicher).
Auch Heinrich Franks Schwestern Frida Koch und Johannette Katz, für letztere liegt in Göppingen ein Stolperstein, wurden umgebracht. Auch für ermordete junge Familie Schwab wurden in Göppingen Stolpersteine gelegt.
Die einzigen heute lebenden Nachfahren im weiteren Familienkreis von Heinrich Frank sind die Söhne seiner Nichte Rosel Koch. Nichten und Neffen von Flora Frank leben in den USA und in Belgien.
Von Richard Fleischer abgesehen, wurde die Familie Frank, die ja über zwei Jahre hier gewohnt hatte, in Göppingen völlig vergessen. Die Isolierung und Diskriminierung einer jüdischen Familie ließ sich umso strikter praktizieren, wenn, wie bei den Franks, nichtjüdische Freunde oder Bekannte aus früherer Zeit fehlten. Die jüdischen Wohnungsbesitzer und Vermieter aus Göppingen, wie zum Beispiel die Familie Oppenheimer, wurden ihrerseits ermordet und mit ihnen verschwanden auch die Erinnerungen an die zugezogenen Mieter.
Die Portrait – Fotos zeigen Flora, Rosa, Heinrich und Sally Frank im Februar 1939. Es handelt sich um Duplikate von Fotos, die zur Ausstellung einer Kennkarte in Pirmasens benötigt wurden. Diese Fotos, sowie den Großteil der Informationen über die Lebenswege der Familie Frank, hat Peter Conrad über Jahre recherchiert und gesammelt. Herr Conrad stammt selbst aus Rodalben und versucht die unterdrückte jüdische Geschichte seiner Heimatstadt zu ergründen.
Wichtige Hinweise und Fotos zur Familie von Flora Frank verdanken wir der Heimatforscherin Hilde Weirich. Dem Stadtarchiv Pirmasens danken wir für die Genehmigung, die Passfotos zu veröffentlichen.
Im Mai 2010 verlegte Gunter Demnig zwei Stolpersteine vor dem Haus Grabenstraße 18 zum Andenken an Flora und Rosa Frank.
(30.12.2016 kmr)
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