Hauptstr. 79

Hedwig Dangelmaier wird als siebtes von acht Kindern am 1. Mai 1912 in Donzdorf geboren. Der Vater verstirbt 1915; da ist sie drei Jahre alt. Er war Wagner, aber wie üblich lebte die Familie noch von einer kleinen Landwirtschaft. Vermutlich ist sie nach der Schule im elterlichen Haushalt und der Landwirtschaft tätig, wo sie gebraucht wurde. Eine häufige Perspektive von jungen Frauen vom Lande; alternativ gingen sie als Dienstmädchen in Stellung.

Zwei ihrer Schwestern wandern nach Amerika aus, in der Hoffnung dort Arbeit und Wohlstand zu finden. Wir wissen, dass dies ihrer Schwester Aloisia gelungen ist. Sie hat sich in Amerika gut eingefunden , kommt regelmäßig nach Donzdorf zu Besuch. Eine andere Schwester geht nach Bingen am Rhein ins Kloster. Ihr Bruder Josef wird Wagnermeister, übernimmt den elterlichen Betrieb, bis er eingezogen wird und 1944 in Belarus umkommt; Bruder Anton fällt 1944 in Russland.

Hedwig lebt bis 1936 im Haus der Mutter in der Hauptstraße 79. Dann geht sie für einige Monate nach Wattenberg bei Markdorf, vermutlich um eine Stelle als Saisonarbeiterin in der Landwirtschaft anzunehmen.

Haus Hauptstraße 79 vor dem Abriss 1981 (Foto: Stadt Donzdorf)

1937 kommt ihr Leben ins Rutschen. Sie muss zwei Monate in Göppingen im Krankenhaus verbringen (Grund: Geisteskrankheit?) und zieht dann wieder für ein paar Monate zurück zu ihrer Familie. Von dort geht sie 1938 nach Stuttgart ins „Mathildenhaus – Schutzheim für Mädchen und Frauen“; heute wäre das eine Einrichtung für Wohnsitzlose. Zwischendurch nimmt sie Arbeit als Dienst-mädchen auf der Insel Reichenau an, kommt aber wieder zurück nach Stuttgart.

Im August 1939 wird sie zum ersten Mal wegen „Landstreicherei“ verhaftet und für 14 Tage ins Gefängnis nach Heidelberg gebracht. Im Februar 1940 ist sie für kurze Zeit wieder in Stuttgart. Danach verliert sich ihre Spur; für ein ganzes Jahr ist sie meldepolizeilich nicht erfasst. Vermutlich hält sie sich noch im Stuttgarter Raum auf, als sie am 11. Januar 1941 in Echterdingen aufgegriffen und als Häftling Nummer 5381 ins Konzentrationslager Ravensbrück verschickt wird. Wann ihre Deportation von Ravensbrück nach Auschwitz war, ist nicht bekannt. Wir kennen den Tag ihrer Ermordung, den 7. Oktober 1942. Sie ist 30 Jahre alt.

Am 15. Oktober 2025 setzte Gunter Demnig den ersten Stolperstein in der Stadt Donzdorf zur Erinnerung an Hedwig Dangelmaier auf dem Gehweg vor dem ehemaligen Gebäude Hauptstraße 79. Es war Anfang der 80er-Jahre abgerissen worden. Die Gedenkfeier fand auf dem Grundstück des Geburts- und Wohnhauses statt und fand großes Interesse in der Bevölkerung.

Sabine Schlotter (ihre Mutter war eine Cousine Hedwig Dangelmaiers) gab Einblicke in das Leben der Ermordeten. In der Familie habe man gewusst, dass sie in Auschwitz mit gerade mal Dreißig zu Tode gekommen war; darüber gesprochen habe man aber nicht. Der Eintrag im Familienstammbuch habe sie bewegt, die Hintergründe ihres Schickals aufzuarbeiten. Unterstützung fand sie bei der Stadtarchivarin Carola Eberhardt und Angelika Taudte von der Stolperstein-Initiative Göppingen.

Sabine Schlotter (Bildmitte) berichtet vom Schicksal ihrer Verwandten

Schülerinnen und Schüler des Rechberg-Gymnasiums Donzdorf beteiligten sich an der Feierstunde. Sie hatten sich in einem Projekt mit der Verfolgung sogenannter „Asozialer“ und „Berufsverbrecher“, zu denen auch Hedwig Dangelmaier zählte, durch die Nationalsozialisten beschäftigt.

Die Schülerinnen Tameja und Michelle sehen in der
Erinnerung an Hedwig Dangelmaier ihren Auftrag
(rechts neben ihnen: Sabine Schlotter)

(15.10.2025 Sabine Schlotter/ce/at)