Grabenstraße 18

In Göppingen heimisch geworden

Im November 1911 zog die 23jährige Frida Ullmann (geb. 7.9.1888) nach Göppingen. Sie stammte aus Haigerloch, einer kleinen Gemeinde zwischen Horb und Hechingen, die auf eine lange jüdische Geschichte zurückblicken konnte. Ihr damals schon verstorbener Vater Louis betrieb dort einen Viehhandel, ein Beruf, der in den jüdisch – schwäbischen Landgemeinden häufig war. Ihre Mutter Helene stammte aus Laupheim. Frida verließ ihre Heimatgemeinde um in Göppingen den elf Jahre älteren Metzgermeister Simon Oppenheimer zu heiraten. Kannten sich die Familien über berufliche Kontakte? Auch Simon Oppenheimer (geb.14.12.1877) war kein Göppinger, sein Elternhaus stand in Hemsbach an der Bergstraße, wo schon sein Vater Isaac als Metzger tätig gewesen war. Ende 1907 übersiedelte Simon nach Göppingen und übernahm bald darauf die von Sigmund Dörzbacher gegründete Metzgerei. Es ist anzunehmen, dass das Ehepaar Oppenheimer Erfolg im Beruf hatte, denn sie konnten von Jakob Müller das stattliche Stadthaus in der Grabenstraße 18 (nahe dem heutigen Spitalplatz) erwerben. Im Erdgeschoss richteten sie die koschere Metzgerei ein, der erste Stock bot Platz für die bald wachsende Familie, der zweite Stock und das Dachgeschoss wurden vermietet.

Simon (stehend, 2. von rechts), seine Frau Frida ( sitzend, erste von rechts) sowie die Tochter Selma (sitzend, zweite von rechts) und der Sohn Lothar (stehend, erster von links)


Gute Nachbarschaft

Selma, geb. 1913, Lothar, geb. 1915, Erna, geb. 1916 und Kurt, geb. 1920 hießen die Kinder des Ehepaars.

Lilo Guggenheim

Lilo Guggenheim Levine (†), die im Nachbarhaus aufgewachsen war, erinnerte sich gut an ihre Spielkameraden, besonders an Erna, „die wunderschöne Kleider für ihre Puppen und Kurtles Teddybären nähte“ sowie an Kurt, der sich einmal mit frischem Teer „einsaute“. Über die Eltern schrieb sie: „Simon Oppenheimer war besonders freundlich und nett, ich glaube Frau Oppenheimer war zurückhaltender aber auch sehr nett. Als Kind fühlt man das und ich hatte nur gute Gefühle von der ganzen Familie. Ich hörte meine Eltern nie ein schlechtes Wort über die Oppenheimers sagen.“
Von Erna und Lothar Oppenheimer weiß man, dass sie sich der Zionistischen Vereinigung Ortsgruppe Göppingen angeschlossen hatten. Vielleicht kann man diesen Schritt als Skepsis gegenüber der deutschen Mehrheitsgesellschaft verstehen, vielleicht spielte auch jugendlicher Oppositionsgeist eine Rolle, denn die meisten Göppinger Jüdinnen und Juden der älteren Generation fühlten sich als Deutsche jüdischen Glaubens. Das anscheinend unbeschwerte Leben endete für die Familie Oppenheimer jedenfalls mit der Machtübergabe an die Nazis.

„Verächtlichmachung der SA-Posten“

Erster Ausdruck des jetzt staatlich geförderten Judenhasses war der Boykott ‚jüdischer‘ Geschäfte am 1. April 1933, dem eine Kundgebung gegen „Jüdische Greuelpropaganda“ vorausgegangen war. Auch vor Oppenheimers Metzgerei standen SA-Posten. Herr Oppenheimer muss sich gegen diese Provokation gewehrt haben, denn man konnte in der Göppinger Zeitung vom 3. April lesen: „Der Metzger Oppenheimer wurde wegen Verächtlichmachung der SA-Posten verhaftet.“
Die Dauer der Haft und mögliche weitere Folgen sind nicht bekannt. Spätestens am 9. November 1938 sollte Simon Oppenheimer die Nazi-Gewalt wieder hautnah zu spüren bekommen. In der Pogromnacht wurde sein Sohn Kurt verhaftet und am übernächsten Tag ins KZ Dachau gebracht, wo er bis zum 29. Dezember 1938 in qualvoller Haft blieb. Wahrscheinlich musste auch Simon ein bis zwei Tage in einem Göppinger Gefängnis verbringen, das KZ Dachau blieb ihm aber als 61-jährigem erspart.

Die Flucht der Kinder

Schon im Mai 1937 war der Sohn Lothar nach England geflohen, Kurt und Erna folgten ihm Anfang 1939 nach London. Lothar reiste später in die USA aus, von wo er versuchte, seinen Eltern die rettende Ausreise zu ermöglichen. Die älteste Tochter Selma, die schon 1936 nach Stuttgart gezogen war, wanderte nach Palästina aus.
Die letzte Zeit in Göppingen konnte das Ehepaar nicht mehr im eigenen Haus verbringen. In einem Brief vom 13.9.1941 schreibt die Göppingerin Hedwig Frankfurter, der das Haus Lutherstraße 11 gehörte: „ Nächste Woche ziehen Metzger Oppenheimer bei uns ein. Ich sehe dieser erneuten Einquartierung mit bangen Gefühlen entgegen, aber es ist nicht zu ändern.“ Trotz der befürchteten Enge dürften sich die Oppenheimers wohl gefühlt haben, denn am 10.4.1942 schreibt Frau Frankfurter: „Zu unserem großen Leid werden uns nächster Tage H. & Fr. Oppenheimer … verlassen, nachdem wir eine sehr harmonische Hausgemeinschaft hatten.“ Der Grund:

Deportationsziel Izbica

Im April 1942 standen Frida und Simon Oppenheimer auf der Todesliste der Nazis, Ziel war zunächst das ‚Durchgangslager‘ Izbica in Polen. Der Göppinger Stadtarchivar Dr. Rueß schreibt über die Umstände der Deportation:
„ Die sieben Personen aus Göppingen, die diesmal auf der Deportationsliste standen, mussten sich in den Tagen zuvor wieder dem gleichen Verfahren vom November des Vorjahrs stellen. Sammelplatz war nach der Schillerschule wiederum das Gartenschaugelände auf dem Killesberg (Stuttgart – d. Verf.). Diesmal war allerdings jeder Person nur noch erlaubt, einen Koffer oder Rucksack, zwei Wolldecken und ein Kopfkissen mitzunehmen.

Izbica liegt an den Eisenbahnstrecken, die in die Vernichtungslager Belzec bzw. Sobibor führten. In einem der beiden Lager sind Frida und Simon Oppenheimer höchst wahrscheinlich ermordet worden. Nach dem Krieg wurden sie „für tot erklärt“. Simon und Frida waren nicht die einzigen Opfer in der Familie, denn ihr Sohn Kurt ertrank, als das englische Schiff, das ihn von Australien wieder nach England bringen sollte, torpediert wurde. Der kinderlos gebliebene Sohn Lothar, der in New York lebte, starb dort 95 jährig im Dezember 2010. Heute leben in Israel Nachfahren der Tochter Selma. Erna, die später auch in die USA gezogen war und als Erzieherin arbeitete, starb vor einigen Jahren ohne Nachkommen.

Inzwischen steht die Stolperstein – Initiative in Verbindung mit Nachkommen von Selma Oppenheimer. Ihre Enkelin, Frau Shlomit Dente-Ben Zeev hat mit ihrer Tochter Inbal die Heimatstadt ihrer Großmutter besucht. Sie stellte uns wichtige Fotos aus der Familie zur Verfügung , wofür wir herzlich danken.

v.l.: Claudia Liebenau-Meyer von der Stolperstein-Initiative, Inbal Dente, Shlomit Dente-Ben Zeev

Mit zwei Stolpersteinen vor dem Haus Grabenstraße 18 wurde im Mai 2009 an das Schicksal von Frida und Simon Oppenheimer erinnert; der Stolperstein für ihren Sohn Kurt wurde 2013 gesetzt.

Grabenstrasse 18

(13.02.2017 kmr)