Burgstraße 14
Nach der Ideologie bzw. dem Rassenwahn der Nationalsozialisten war Robert Leopold Einstein in zweierlei Hinsicht zum Tode verurteilt: als Patient mit einer Geisteskrankheit und als Jude.
Noch vor der Vernichtung der Juden wurde die Tötungsmaschinerie gegen psychisch Kranke und Behinderte in Gang gesetzt. Vorausgegangen waren schon Zwangssterilisationen und Zwangsabtreibungen. Diese Maßnahmen sollten der ‚Reinerhaltung des Volkskörpers‘ dienen. Bereits 1920 veröffentlichten Alfred Hoche und Karl Binding ein Pamphlet mit dem Titel „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“, in dem Kriterien für die Tötung psychisch Kranker und Behinderte benannt wurden. Hoche, ein Psychiater, lieferte die medizinischen Argumente, der Jurist Karl Binding die rechtlichen. Es wurde aber auch volkswirtschaftlich argumentiert: So könne es sich ein notleidendes Volk nicht leisten, für ‚Ballastexistenzen‘ Geld und Arbeitskraft gesunder Menschen einzusetzen.
Zur gnadenlosen Ausführung dieser Gedanken kam es ab Anfang 1940 bis 24.08.1941 in sechs eigens dafür eingerichteten Tötungsanstalten mit Vergasungsanlagen und Krematorien. Eine davon war die ehemalige Samariteranstalt Grafeneck, wo die meisten der württembergischen Patienten umgebracht wurden. Die Kliniken, damals Heilanstalten genannt, wurden vom Innenministerium angewiesen, Meldebögen für Patienten mit psychiatrischen oder neurologischen Diagnosen einzureichen. Dort erfolgte dann die Selektion und die Anordnung, diese Patienten zunächst in andere Heilanstalten zu verlegen, von wo sie dann in die Tötungsanstalten deportiert wurden. Die Zwischenverlegung diente der Verschleierung der Tötungsabsichten.
Geplant wurde das Ganze als Geheimaktion in einer ausgelagerten Führerkanzlei in der Berliner Tiergartenstraße 4. Von daher stammt der Name ‚Aktion T4‘. Naturgemäß blieb sie nicht geheim, betraf sie doch Kranke und Behinderte der gesamten Bevölkerung. Viele Angehörige und die Kirchen leisteten anhaltend Widerstand, so dass die T4 Aktionen auf mündliche Weisung Adolf Hitlers am 24.08.1941 eingestellt wurden. Bis dahin hatten sie über 70.000 Menschen das Leben gekostet.
Lebensgeschichte Robert Einsteins
Welches der letzte freiwillige Wohnsitz von Robert Leopold Einstein war, wissen wir nicht mit Sicherheit. Seine Eltern, Geschwister und er dürften jedoch ihre beste Zeit in der Burgstraße 14/16 verbracht haben, als das Geschäft des Familienvaters und dessen Schwager florierte.
Der VaterAdolf Einstein und Nathan Wortsmann, sein Schwager, waren Geschäftsführer der Firma Joseph Einstein & Söhne, Felle und Pelzwaren, die 1867 in Jebenhausen gegründet und 1873 nach Göppingen verlegt worden war. Das Haus Burgstraße 12 wurde Sitz der Firma. 1908 wurde das Doppelhaus Nr. 14/16 für die miteinander verwandten Familien Einstein, Wortsmann und Banemann gebaut. Ein weiteres Grundstück gegenüber wurde noch dazu gekauft und ein Lagerschuppen darauf errichtet. Diese bauherrlichen Aktivitäten lassen auf eine gute Ertragslage des Geschäftes schließen.
Adolf Einstein war seit 05.01.1898 mit Karola Silbermann aus Nürnberg verheiratet. Sie hatten vier Kinder: Josef, der am 29.11.1898 geboren wurde, Siegfried, der am 01.08.1900 auf die Welt kam und nur zwei Monate alt wurde, dann Robert Leopold, geboren am 02.10.1902, und Hildegard Gertrud am 17.08.1904. Damals lebte die Familie noch in der Hauptstraße 6.
Über Kindheit und Jugend von Robert Einstein wissen wir nichts. Wir können unendlich viele Fragen stellen zu seiner Entwicklung, seiner Stellung in der Familie, seinen Spielkameraden, seinem Leben als Schüler, seinen Wünschen und Zielen, es wird wohl keine Antwort mehr darauf geben. Wir können Überlegungen darüber anstellen, welche familiären und geschichtlichen Ereignisse auf sein Leben eingewirkt haben. Das einzige was wir wirklich wissen, sind die Stationen seines Patientenlebens und das Todesdatum.
Als er 12 Jahre alt ist, bricht der erste Weltkrieg aus; sein älterer Bruder Josef wird zum Kriegsdienst eingezogen. Zwei Jahre später stirbt sein Vater Adolf Einstein in München (09.08.1916). Falls es je eine unbeschwerte Kindheit für Robert gegeben hat, dürfte sie spätestens mit diesen Ereignissen beendet gewesen sein. Weitere zwei Jahre später (1918) stirbt sein Onkel Nathan Wortsmann. Nun müssen die beiden Witwen die Geschäftsführung übernehmen.
Der Krieg ist zu Ende, die Menschen sind verarmt, Deutschland hat riesige Kriegsschulden und muss Reparationszahlungen leisten. Der geschäftliche Niedergang ließ sich nicht mehr aufhalten. 1921 trat Julie Wortsmann aus der Firma aus, 1926 Roberts Mutter Karola Einstein; an ihre Stelle trat Stefan Banemann, der Schwiegersohn von Julie Wortsmann. Vermutlich 1928 wird das Geschäft aufgegeben.
Diese Häufung von Katastrophen in einem so sensiblen Alter wie es Pubertät und Adoleszenz sind, wird zur Destabilisierung der Persönlichkeit Robert Einsteins beigetragen haben. Er hat vermutlich eine Kaufmannsausbildung gemacht; vielleicht war er im Familienbetrieb beschäftigt, wir wissen es nicht. Welche Zustände allerdings 1929 zur Aufnahme in einer Heilanstalt führten, ob er selbst Hilfe suchte oder Zwangsmaßnahmen ergriffen wurden, was das für seine Familie bedeutete, insbesondere für seine Mutter, alles das würde man so gerne wissen, nicht aus Sensationslust, sondern um einem Leben, das für unwert erklärt und vernichtet wurde, wenigstens in der Erinnerung eine Gestalt zu geben, um mit- und einfühlen zu können.
Am 28.11.1929 wurde Robert Einstein in die Heilanstalt Rottenmünster in Rottweil aufgenommen. Man kann davon ausgehen, dass er damals nicht mehr in Göppingen gelebt hat, sonst wäre das Christophsbad die zuständige Klinik gewesen; dort ist jedoch keine Karteikarte in der Patientenkartei vorhanden. Möglicherweise lebte er zeitweilig in Rottweil, ohne jedoch dort gemeldet gewesen zu sein. Am 15.04.1936 wird er von Rottenmünster mit der Diagnose ‚Schizophrenie‘ als ungeheilt in die Heil- und Pflegeanstalt Liebenau verlegt. Warum er von dort im September 1938 in die Landesfürsorgeanstalt in Markgröningen verlegt wurde, konnte nicht ermittelt werden.
Auf dem Meldezettel der Anstalt, der im Stadtarchiv Markgröningen vorliegt, ist als Aufnahmedatum der 30.9.1938 angegeben, als Beruf „Kaufmann“ und als Diagnose „geisteskrank n. Wehrd.“ (= „geisteskrank nach Wehrdienst“?? Robert Leopold kann vom Alter her eigentlich nicht Soldat gewesen sein). Außerdem: „für leichte Arbeiten einsetzbar“.
Wie sich das Leben in diesen Einrichtungen für Robert Einstein gestaltet hat, ist ebenso offen, wie alles andere auch. Wurde er von der Familie besucht, bekam er Post, war er aufsässig oder verängstigt? Viele Fragen, keine Antworten. Am 26.11.1940 wird er mit einem Bustransport in die Tötungsanstalt Grafeneck gebracht und noch am selben Tag ermordet.
Das Schicksal weiterer Angehöriger
1932 eröffnete sein älterer Bruder Josef zusammen mit ihrer Mutter einen Darm- und Gewürzhandel in Schwäbisch Gmünd. Aus der Erinnerung berichtete eine ehemalige Angestellte Josef Einstein sei ein heiterer Mensch gewesen und das Verhältnis von Mutter und Sohn eng und herzlich. 1935 verstarb Josef Einstein 37-jähig auf einer Geschäftsreise in Erfurt. Somit hatte Karola Einstein ein weiteres Kind verloren. Was für sie diese Schicksalsschläge bedeuteten, lässt sich nicht ermessen; nur ihre Tochter Gertrud überlebte.
Einen Monat nach dem Tod ihres Sohnes Josef zieht Karola zurück nach Nürnberg zu ihrem ledigen Bruder Wilhelm Silbermann. 1935 ist auch ihre Tochter Gertrud in Nürnberg gemeldet; ob sie schon vorher dort lebte, ist nicht bekannt. Vom weiteren Schicksal der beiden Frauen wissen wir, dass Karola Einstein von Nürnberg aus am 10.09.1942 nach Theresienstadt und von dort schon am 29.09.1942 weiter nach Treblinka deportiert worden ist, wo sie ermordet wurde. Das Todesdatum ist nicht bekannt.
Gertrud konnte 1939 nach England entkommen und überlebte in London. Im Jahr 1948 stellte sie einen Rückerstattungsantrag für das Haus Burgstraße 14. Dieser Antrag wurde vom Finanzministerium Württemberg abgelehnt, da das Haus nicht unter Zwang verkauft worden sei.
1950 verstarb Gertrud Einstein in London. Damit endete das Leben der ursprünglich sechsköpfigen Familie Einstein, deren Dasein nach dem Willen eines unmenschlichen Regimes ausgelöscht werden sollte. Nicht die geringste Erinnerung an ihr individuelles Leben sollte übrig bleiben.
Weitere Opfer aus Robert Einsteins näherer Verwandtschaft sind:
Sein in Nürnberg lebender Onkel Wilhelm Silbermann, dessen Spur sich im Ghetto Izbica verlor, wohin er im März 1942 deportiert worden war.
Von ihrem Wohnort Fürth aus wurde Roberts Tante Martha Einstein, geb. Silbermann im November 1941 zusammen mit ihrem Gatten Sigmund in das Lager Riga/Jungfernhof verbracht, wo sie ermordet wurden. Sigmund Einstein war mit der Göppinger Familie Einstein nicht verwandt.
Am 02. Oktober 2013 wurde ein Stolperstein als Erinnerung an Robert Einstein gelegt.
(20.12.2016 fw)
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