Bergstr. 11/1

Aus einer alteingesessenen Familie

Rosa Bühler, geborene Heumann kam am 2. April 1870 in Göppingen zur Welt. Ihr Vater Samuel Heumann war ein Laupheimer Hadern – Händler, der erst 1866 nach Göppingen gezogen war. Samuel hatte in Laupheim eine verzweigte Verwandtschaft zurück gelassen, einige seiner Onkel spielten eine bedeutende Rolle im gesellschaftlichen Leben der Stadt. Die Verbindung zu Göppingen ergab sich sicherlich über Franziska (auch Fanny / Fanni), geb. Lindauer, die Samuel 1864 geheiratet hatte, für die damalige Tradition unüblich nicht in Jebenhausen, dem Wohnort seiner Braut, sondern in Laupheim. Dabei gehörte die Familie Lindauer doch zu den ersten jüdischen Siedlern in Jebenhausen! Rosas Urgroßvater Seligmann Löb Lindauer war einer der ‚Schutzjuden‘, die am 17.7.1777 in der damaligen Freiherrschaft Liebenstein aufgenommen wurden. Ein Großteil der Familie Lindauer wanderte im 19. Jahrhundert in die USA aus, so sechs der acht Geschwister von Rosas Mutter Franziska. Wo sich die junge Familie Heumann in Göppingen zunächst nieder gelassen hat, ist unklar. Wahrscheinlich zunächst in der Querstraße 14, im Jahr 1900 laut Adressbuch in der Langestr. 40a. Erst sieben Jahre jung war Rosa, als ihre Mutter starb – bestimmt eine äußerst traurige Erfahrung in ihrem Leben. Vater Samuel Heumann heiratete ein zweites Mal, nämlich Karoline Herz, die für das Kind Rosa hoffentlich eine gute Stiefmutter wurde. Karoline bekam drei eigene Kinder, ihr erstes, Benno, kam zwei Jahre nach der Verehelichung zur Welt. Karoline hatte also genug Zeit, sich an ihre Stiefkinder zu gewöhnen und umgekehrt. Die Neue Welt lockte die Lindauer – Nachfahren auch in Rosas Generation: Ihre älteren Brüder Julius und Hermann emigrierten 1890 bzw. 1895 in die USA.Nur ihr jüngerer Bruder, Hugo Heumann blieb in Göppingen und führte das väterliche Geschäft fort, nämlich einen Handel mit Baumwollwaren und – abfällen in der Ulrichstraße.

Ehe und Wegzug nach München

Rosa zog zwar nicht über den ‚Großen Teich‘, aber am ersten Januar 1892 nach München, zusammen mit Samuel Bühler, den sie im Dezember 1891 in Göppingen geheiratet hatte. Samuel stammte aus dem Dorf Kleinerdlingen bei Nördlingen, war sieben Jahre älter als Rosa und Kaufmann von Beruf. Näheres über seine Berufstätigkeit ließ sich nicht erfahren, eventuell arbeitete er mit seinem Bruder Rafael zusammen, der auch in München lebte. Folgt man den in Göppingen liegenden Akten, gelten Rosa und Samuel Bühler als kinderlos. Anders liest sich die Einwohnermeldekartei aus München: Am 23. Dezember 1892 brachte Rosa eine Tochter auf die Welt, die den Namen von Rosas Mutter, also Franziska erhielt, aber schon am 12. Januar 1893 starb das Kind. Zwei Jahre später wiederholte sich die Tragödie: Am 10.April 1895 gebar Rosa einen Jungen, der Justin heißen sollte. Wie lange der kleine Hoffnungsträger gelebt hat, ließ sich nicht mehr feststellen, jedenfalls muss auch er äußerst früh gestorben sein. Wie gestaltete Rosa ihr weiteres, kinderloses Leben in München? Suchte sie sich neue Aufgaben, arbeitete sie im Unternehmen ihres Manns mit? Leider haben wir zu diesen Fragen keine Hinweise gefunden. Am 26. November 1935 starb ihr Ehemann Samuel nach 42 Jahren der Ehe. Noch knapp ein Jahr blieb Rosa in München. In den Münchner Unterlagen liest man, dass „Frau Bühler April 1936 gestattet wurde, den restlichen Warenbestand der Verkaufsstelle ihres verstorbenen Mannes zu verkaufen.

Ein eigenes ‚Häusle‘ in Göppingen

Bergstr. 11/1

Am 30. Juli 1936 zog Rosa in ihre Geburtsstadt Göppingen, so besagt es die Münchener Einwohnermeldekartei. (Nach Göppinger Unterlagen schon am 1. Juli 1936). In Göppingen lebten damals noch ihr Bruder Hugo mit Familie sowie Halbgeschwister aus der zweiten Ehe ihres Vaters. Rosa Bühler kam anscheinend nicht mittellos nach Göppingen, denn am 10. August 1936 erwarb sie das Haus in der Bergstr.11/1, wo sie dann bis zum 19. August 1941 gemeldet blieb. Warum verließ sie danach ihr Wohneigentum und zog in die Burgstr.16 zur Familie Banemann? War sie inzwischen finanziell so verarmt, dass sie ihr Haus vermieten musste? Am 3. Juli 1942 schreibt die Göppingerin Hedwig Frankfurter an ihre in der Schweiz lebenden Freundin Thilde Gutmann: “ H. Lendt, Fr. Jenny Heimann, Fr. Benzinger und Fr. Bühler kommen nach Weißenstein“.

Mit ‚Weißenstein‘ ist das im Landkreis Göppingen gelegene Schloss gemeint, das zu dieser Zeit als Zwangswohnheim für jüdische Menschen missbraucht wurde. Zum Zeitpunkt dieses Briefzitats befand sich Rosa Bühler schon im ‚Judenhaus‘ in der Metzgerstraße 16, wo sie ein halbes Jahr bis zum 20. August 1942 unter bedrückenden Verhältnissen leben musste. Rosa kam aber nie nach Weißenstein, was freilich nur eine Station auf dem Weg zur Ermordung gewesen wäre.

Theresienstadt – Treblinka

Am 22. August 1942 wurde die Rentnerin Rosa Bühler in einen Zug gesperrt, der vom Stuttgarter Nordbahnhof in das Ghetto KZ Theresienstadt fuhr. Sie war eine der 17 meist älteren jüdischen Göppingern in diesem Transport. Inge Auerbacher, die als einziges Kind darunter war, erinnert sich an die Ankunft: „Zwei Tage später beendeten laute Rufe unsere Fahrt. Wir kamen am Bahnhof von Bohusovice an. “ Alles wegwerfen, außer der Bettrolle und dem Essgeschirr – los, marschieren, kein Widerstand!“ Wachleute mit Peitschen und Gewehren umringten uns. Wir waren alle müde und hatten Angst. Ein paar ältere Leute, die nicht mehr so gut auf den Beinen waren, stürzten. Ihre Hilfeschreie erfüllten die Luft. Viele starben auf dem Weg. ( … ) Wir gingen ungefähr drei Kilometer und wurden durch einen Bogeneingang in eine große Kaserne getrieben. Dann waren hohe Mauern um uns.“

Rosa Bühler überlebte das Schreckensszenario der Ankunft, aber schon nach einem Monat musste sie Theresienstadt verlassen: Am 29. September 1942 wurde sie in das Vernichtungslager Treblinka im deutsch besetzten Polen deportiert. Hier endete Rosa Bühlers Leben nach 72 Jahren durch Mord. In Treblinka wurden die meisten Menschen durch Motorabgase erstickt, wer zu gebrechlich war, den Weg vom Bahngleis zu den Gaskammern zurückzulegen, wurde über ausgehobenen Gruben von SS erschossen .

Nach Rosa Bühlers Deportation bereicherte sich der Nazi – Staat ( = Reichfinanzverwaltung), indem er ihr Haus Bergstr.11/1 in Besitz nahm, um es 1943 dann an den Göppinger HJ – Führer Paul Schillo zu verkaufen. Im Restitutionsverfahren, als Herr Schillo angehalten wurde, das Haus an die Erbengemeinschaft von Rosa Bühler zurück zu erstatten, fühlte er sich betrogen: Er hätte sich doch von dem betreffenden Beamten, mit dem er den Kauf ausgehandelt hatte, versichern lassen, dass es keine Erben von Rosa Bühler gebe, die jemals Ansprüche an ihn stellen würden.

Aus Rosas näherer Verwandtschaft wurden viele Angehörige von den Nazis ermordet: Ihre Cousine Jeanette Oppenheimer, geb. Heumann, die in München lebte, starb wie Rosa im Vernichtungslager Treblinka.

Jeanette Oppenheimer, geb. Heumann

Die in Ulm wohnende Fanny Nathan, geb. Heumann, ebenfalls eine Cousine väterlicherseits, musste in Theresienstadt ihr Leben lassen, Fannys Tochter Sara Nathan wurde in Izbica ermordet. Weiterhin starben in der Shoah vier Kinder von Rosas Cousin Heinrich Heumann sowie ein Kind ihres Cousins Josef Heumann. Ermordet wurden auch Geschwister von Rosas Schwägerin Frieda Bühler geb. Rosenau, der Frau ihres Bruders Hugo.

Zum Andenken an Rosa Bühler wurde am 2. 0ktober 2013 ein Stolperstein nahe ihres ehemaligen Hauses in der Bergstr. 11/1 gelegt.

(19.12.2016 kmr)